Hier ein erstes meiner Best of Finland Bilder, das meine vier Wochen in Finnland ganz gut repräsentiert:
I believe I can fly!
Und wieder ist es der Norden geworden – wo ich es doch eigentlich gerne warm und sonnig habe. Nach gut fünf Wochen Wandern in Grönland letztes Jahr geht es diesmal in die rechte obere Ecke von Finnland, an den nördlichsten Punkt der EU. Und so erstaunlich das auch klingt – mein Ziel ist noch einmal 510 km weiter nördlich als meine Wanderung auf dem Arctic Circle Trail in Grönland!
Aber dafür habe ich den Juli gewählt, wo kein vernünftiger Finne in die sumpfreichen Gegenden geht. Dort werde ich mich vermutlich mit 35 Milliarden meiner kleinen Freunde treffen. Die Mitternachtssonne und die hochsommerlichen Temperaturen im kurzen arktischen Sommer sind mir die Moskitoschwärme aber allemal wert. Die letzten Wochen sind natürlich mit Ausrüstungsvorbereitung, Mahlzeiten kochen und trocknen, Screenshots von Karten herunterladen und Überlegungen wie: Soll ich das oder soll ich jenes …? ausgefüllt. Vor allem beim Schlafsack bin ich lange unschlüssig, weil ich es einerseits bis an die Nullgradgrenze richtig warm und kuschelig, andererseits aber immer noch sehr leicht haben möchte. Schliesslich nähe ich mir noch schnell einen Daunenquilt und Herr Gärtner in Wien füllt ihn mir rasch mit 415 g der besten Daune, die er hat. Nicht ohne auch noch meine Nähte hervorragend auszubessern!
Finnland hat so viel einladendes Blau auf der Landkarte – da muss das Packraft selbstverständlich mit, auch wenn das den Rucksack voller Futter für 12 Tage mit letztlich an die 17kg richtig schwer macht.
6.7.
Fahrt mit dem Zug nach Wien und von dort erstmals mit dem Flughafenbus im abendlichen Stau bis zum Flughafen. Ich habe schon eingecheckt, bin früh dran und so stört mich die Verspätung nicht, aber beim nächsten Mal wirds wieder der Zug. Es ist auch am Abend richtig sommerlich heiss – will ich wirklich so weit in den Norden, wo es doch hier so schön ist?
In Berlin gibt es heftige Gewitter durch die es rumpelnd hindurch zur Landung geht, der Wind ist aber so stark, dass der Pilot kurz vor dem Aufsetzen zu weit versetzt von der Landebahn beschliesst, zu einer ausgedehnten Sightseeing-Runde über Berlin durchzustarten und sich für die neue Landung auf einer anderen Bahn einzuordnen. Interessantes Feeling! Da alle anderen Flieger aufgrund des Unwetters zu spät ankommen, ist der Flug nach Helsinki auch verspätet. Der ist aber schön und von einem ewigen Sonnenuntergang begleitet, weil wir der Mitternachtssonne entgegenfliegen. Es ist eine der letzten Maschinen, die in Helsinki eintreffen und müde warte ich am Gepäckband. Alle Leute bis auf zwei oder drei haben ihre Koffer schon und jetzt ist das Band ist leer… Obwohl ich so viel fliege ist es das erste Mal, dass mein Gepäck nicht mit mir ankommt. Inzwischen ist es gegen 2:00 früh und ich stelle mich am Gepäcksuchschalter an, Formular ausfüllen, Adresse? Telefonnummer? Ich bin einfach nur müde.
Piia, meine Freundin, die ich letztes Jahr in Grönland getroffen habe, wartet inzwischen geduldig auf mich. Sie wohnt nahe am Flughafen und so kommen wir doch irgendwann ins Bett.
7.7.
Piia hat für heute eine kleine Paddeltour mit dem Kajak organisiert und anschliessend Sauna am See! Das Aufstehen nach der kurzen Schlafpause mit dem einstündigen finnischen Jetlag fällt schwer, aber als wir draussen unterwegs sind ist es einfach nur fantastisch! Das Wetter ist sonnig, richtig warm und windstill. Die ersten Schwarzbeeren sind schon reif und versüssen die kurzen Portagen auf unserer Seenrunde. Selbst bei hochsommerlichen Temperaturen ist die Sauna ein grossartiges Vergnügen und das Schwimmen im See danach noch mehr. Als wir abends heimkommen steht die Sonne auch in Vantaa immer noch hoch am Himmel. Mittags hat Piia beim Gepäckservice angerufen – mein Rucksack ist nicht angekommen und sie wissen auch nicht wo er ist, wahrscheinlich in Wien liegen geblieben. Vor dem Heimkommen fahren wir noch kurz am Flughafen vorbei – glücklicherweise wohnt Piia nur 10 Minuten entfernt. Kein Rucksack. Spät abends verkündet die Airberlin-Website aber Ihr Gepäckstück ist eingetroffen und ich gehe zufrieden schlafen.
8.7.
In der Früh setzt mich Piia am Flughafen ab und ich hole meinen Rucksack aus dem Depot ab und trage ihn zum Finnair-Schalter, um ihn gleich wieder einzuchecken. In Ivalo packe ich meinen Rucksack um, viele Dinge habe ich dabei, die ich ursprünglich bei Piia lassen wollte. Es hat zu Mittag erfreuliche 26° in Ivalo!
Mein Plan war vom Flughafen zum Ivalojoki zu gehen und mit dem Boot den Fluss entlang zu paddeln. Allerdings ist alles verbaut und dort wo ich den Fluss sehen kann, müsste ich durch den Vorgarten der Bewohner. Ich weiss auch nicht so ganz genau, wie ich das Husky Guesthouse, in dem ich für diese Nacht bleiben möchte vom Fluss aus finden kann. Also bleibe ich auf dem direkten Weg nach Ivalo, 10km zu Fuss mit dem schweren Rucksack und richtig feucht-warmen Sommertemperaturen.
Am Hotel Ivalo finde ich einen Zugang zum Ivalojoki und nach einer kurzen Erklärung der Rezeptionsdame, wie ich zum Hostel komme, paddle ich los. Welches Vergnügen! Mit meiner Kuksa schöpfe ich Trinkwasser direkt aus dem Fluss und es geht durch gemütliche Mäander an Sandstränden entlang, wo sich die Kinder am Badewetter freuen. Innerhalb kurzer Zeit zieht jedoch ein Gewitter auf und ich sehe zu, dass ich vom Fluss runterkomme. Unter einem Baum mit dem Packraft als Dach warte ich den kurzen Schauer ab und paddle dann ein kurzes Stück weiter. An der Brücke soll ich auf der Strasse Richtung Norden Utsjoki gehen und dann links für gut 7 km auf der Sandstrasse, da würde irgendwo das Guesthouse mit der Huskyfarm liegen. Ich bin aber so müde, dass ich die über 7 km Strasse nicht mehr gehen möchte. Im nächsten Hotel frage ich noch einmal nach der Wegbeschreibung und beschliesse, dass ein Taxifahrer diese Aufgabe schneller und effektiver lösen wird. Die mobilen Telefonverbindungen sind nicht so zuverlässig und im Hostel meldet sich niemand, um eine Abholung zu erbitten. Innerhalb weniger Minuten bin ich aber da, froh mir diese Sandstrasse erspart zu haben und auch ohne Reservierung gibt es schnell ein Zimmer. Das Husky Guesthouse hat erst im März 2011 eröffnet und ist einfach nur super! Meine letzte Nacht bevor ich in die Wildnis wandere geniesse ich noch einmal allen Komfort der Zivilisation: Bett, Sauna, Internet.
9.7.
Nach einem hervorragenden Frühstücksbuffet, kann ich ein paar Sachen hier deponieren, und Outi nimmt mich mit nach Ivalo, weil ich im Supermarkt noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen muss: Spiritus, etwas Brot und einer Eingebung folgend nehme ich mir an der Kassa noch ein Bic-Feuerzeug als BackUp zu meinem Mini-Bic, man kann nie wissen …
Es ist gegen Mittag als ich am Strand von Ivalo mein Packraft aufblase, alles verpacke und meine Tour auf dem Ivalojoki beginne. Wie schon gestern geht es bei gemütlicher Strömung und herrlichstem Sommerwetter flussabwärts. In der sandigen Böschung wohnen Uferschwalben und in einem Loch sehe ich einen Eisvogel (aussergewöhnlich so weit im Norden) verschwinden. Das Gewicht des Rucksacks spielt bei dieser Art des Wanderns keine Rolle und ich freue mich über die bessere Stabilität des Packrafts mit dem Gewicht am Bug. Der Rückenwind hilft zusätzlich und wirkt erfrischend. Mit einer kleineren Pause bin ich nach 3,5 Stunden kurz vor 16:00 an meiner geplanten Ausstiegsstelle am rechten Seitenarm bevor das Delta des Ivalojoki in den Inarisee beginnt.
Es gibt erst einmal eine ausgedehnte Pause mit Speck-Käse-Brot, Tee, Trailmix. Beim Anzünden stelle ich fest, dass mein Mini-Bic zwar noch voll mit Gas ist , sich aber absolut nicht zum Erzeugen einer Flamme oder irgendwelcher Funken überreden lässt. Wie glücklich bin ich über mein neu gekauftes Feuerzeug!
Je mehr ich esse, desto schneller hat der Rucksack ein erträgliches Gewicht, aber im Moment ist noch kein rechter Hunger da.
Es ist mit 32° im Schatten richtig heiss und mein Packraft bekommt eine neue Funktion: Sonnensegel. Im Schatten beginne ich mit Vergnügen meine Reiseliteratur: Goethes Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre in der Reclamausgabe werden mich die nächsten Wochen begleiten. Es gibt kaum Moskitos, aber die Goldaugenbremsen – ich nenne sie Deltafliegen – mit ihren neongrünen und -orangen Augen wollen mich stechen und sind manchmal erfolgreich.
Nach der Pause peile ich mich direkt auf Osten ein, um die Halbinsel Veskoniemi zu durchqueren, um im Nangavuono des Inarisees weiterzupaddeln. Für diesen kurzen Wanderabschnitt habe ich keine 1:25.000 Ausdrucke, nur die 1:100.000 Karte vom Inarisee – kann ja auch nicht so kompliziert sein …
Die ersten paar Meter gehe ich auf Rentierpfaden, die Moskitos wachen innerhalb weniger Minuten auf und nach rund 50 Metern holt mich die finnische Realität ein: Sumpf! Und da fällt mir auch wieder ein, warum der finnische Name des Landes Suomi ist (suo = einer der neun verschiedenen Namen für die verschiedenen Arten von Sumpf).
Wie immer überkommt mich am Anfang grösserer Touren das gleiche Gefühl: zuerst ist es die Vorfreude und Ungeduld endlich loszuziehen, dann ist es Zweifel und Ernüchterung angesichts der harten Wirklichkeit. Wie schreibt schon Ulrich Grober: „Strapazen gehören elementar zum Wandern“ Ich mach einen Umweg nach rechts um den Sumpf und treffe auf – noch mehr Sumpf. Ein weiterer, grösserer Umweg eröffnet noch mehr Sumpffläche vor mir. Und mitten drin steht ein kapitaler Elch!
Wir stehen beide bis kurz unter den Knien im sumpfigen Wasser – ich nehme aber an, der Elch hat sich dabei entschieden besser gefühlt als ich. Irgendwann beschliesse ich auf weitere Umwege zu verzichten und lerne die Pflanzen zu erkennen, die eine Passierbarkeit des Sumpfes anzeigen. Nur ein kleiner Bach, den ich überqueren muss, stellt mich vor ein Problem – der Boden scheint endlos tief und ich denke schon über Selbstrettungsstrategien nach, sollte ich plötzlich im morastigen Untergrund versinken. Mit Hilfe einiger Weiden, auf deren Zweigen und Wurzeln ich mich mit meinem schweren Rucksack weiterhangeln kann, schaffe ich es auf die andere Seite. Es geht weiter auf Rentierpfaden, eine Sandstrasse ist zu überqueren und schon bald sehe ich den Inarisee durch die Bäume schimmern. Dort ist mir vor allem einmal eines wichtig: trinken. Auf der kurzen einstündigen Wanderung über die Halbinsel war ich beinahe durchgehend mit den Füssen im Wasser, aber nichts zum Trinken – eine einzige reife Lakkabeere unterwegs ist ein unglaublicher Genuss.
Meine kleinen Freunde sind sofort von meiner Ankunft informiert und bringen noch die ganze Verwandtschaft mit. Da ist mein Boot schnell aufgeblasen, der Rucksack befestigt und raus aufs Wasser!
Der See liegt spiegelglatt vor mir und ich beschliesse am linken Ufer zu bleiben und dann bei der „V“-Markierung auf die andere Seite zu wechseln. Am rechten Ufer liegt eine grosse Fabrik, wo ich eigentlich nicht hin will und bei der Windstille traue ich mich, die Querung einer weiteren Strecke auf offenem Wasser mit meinem kleinen Gummiboot zu paddeln. Nach den beiden Inseln mache ich eine Pause an einem Felsen und finde mir bald danach einen wunderschönen Lagerplatz.
Es ist kurz vor 23:00 und hat 28°, die Sonne steht hoch am Himmel – einfach grossartig. Nach einem kurzen Wasch im See gibt es Spaghetti mit Tomatensauce zum Abendessen. Ich bin müde, aber nicht schläfrig – mein Gehirn sagt mir, es ist noch nicht Zeit zum Schlafengehen, Sonne steht ja noch am Himmel! Am See ist es atemberaubend still bis auf ein gelegentliches Motorboot. Mein MLD Trailstar baue ich trotz des guten Wetters als Halbpyramide auf – ich habe gelernt, man kann nie wissen – und das Moskitonetz brauche ich hier gar nicht. Irgendwann schlafe ich dann ein, aber es dauert lange.
10.7.
Erst spät stehe ich auf und geniesse einmal mein Müsli-Frühstück mit Tee und Goethe. So richtig komme ich nicht los und dann kommt Wind aus der falschen Richtung auf, daher bleibe ich und mache einen lazy day, Zeit habe ich ja genug. Es hat wieder 30° und ich sitze nackt in der Sonne, sehe einem Fischotter beim Jagen in der Bucht zu. Kleinere Fische frisst er gleich und mit den grösseren schwimmt er an Land und setzt sich auf einen Stein, wo er ihn frisst. Leider ist mein Anpirschversuch nicht erfolgreich und als er das nächste Mal an Land schwimmen will, sieht er mich und verzieht sich. Ein paar Kraniche fliegen über die Bucht.
Als ich endlich aufbruchsbereit wäre zieht ein Gewitter auf. Das Trailstar mache ich mit ein paar Steinen sturmfest, weil nicht alle Heringe guten Halt haben. Das Gewitter nähert sich über dem See und dann bricht ein elementares Schauspiel an: heftiger Wind kommt auf und die Wellen werden immer höher, haben alle Schaumkronen und es schüttet wie aus Kübeln. Unter meinem Tarp und im kuscheligen Daunenquilt liege ich warm und beobachte fasziniert, was sich unmittelbar vor mir abspielt. Die Blitze fahren manchmal ins Wasser und nach einem kommt eine Welle ganz warmer Luft, die seltsam ozonähnlich riecht zu mir hergeweht.
Das Gewitter zieht weiter, aber ich zögere mit dem Aufbruch, weil es noch nicht so ganz erledigt aussieht.
Nach langem Hin und Her packe ich doch zusammen und paddle los, zügig quer über die weite Bucht. Nach einer dreiviertel Stunde nähert sich von hinten das nächste Gewitter; parallel mit mir, aber ein paar Kilometer nördlich versetzt zieht ein anderes durch. An einer ebenen Stelle lege ich an und baue schnell mein Tarp unter Bäumen geschützt auf und es beginnt auch schon zu tröpfeln. Und wie auf Knopfdruck und ohne weitere Vorwarnung bricht das Gewitter los. Es ist noch heftiger und es regnet die sprichwörtlichen Hunde und Katzen. Oder waren das Schusterbuben? Egal – es ist zuviel für die mit Silnet abgedichteten Nähte meines Tarps und es beginnt durchzutröpfeln. Anfangs wische ich die Tropfen mit dem Handtuch weg, dann decke ich mich mit meiner Alurettungsdecke zu und zum Ausweichen gibt es auch genug Platz.
Es ist wie eine Gewittersymphonie: mindestens drei Gewitterzellen blitzen und donnern um mich herum in unterschiedlichen Rhythmen. Direkt über mir ist eines, der Donner kommt gleichzeitig mit dem Blitz und dröhnt vibrierend durch den Boden auf dem ich liege. Irgendwie kann ich schon verstehen, dass Hunde davor Angst haben. Ich schlafe für eine Stunde während es noch regnet, aber gegen 20:00 scheint wieder die Sonne, 5° abgekühlt und der See liegt wieder spiegelglatt vor mir als wäre gar nichts gewesen.
Schnell habe ich wieder alles zusammengepackt und breche auf. Nach über zwei Stunden bin ich in einer Bucht, ab der es laut Karte nur mehr Steilufer gibt. Es könnte zwar noch einen Lagerplatz geben, aber ich bin mir nicht ganz sicher und müde. An einem kleinen Pocketbeach lege ich gegen 22:30 an und suche mir im Wald einen Biwakplatz. Er ist einigermassen eben und das Trailstar passt drauf, aber das ist auch schon alles. Es ist alles richtig nass. Am Strand gelingt mir im dritten Anlauf, mit Hilfe von Spiritus und viel geschnitztem Kleinholz endlich ein ausreichendes Feuerchen für mein Abendessen. Der Rauch aus meinem BushBuddy zieht über das Wasser und erfüllt die ganze Bucht.
Wie ich so sitze und der Stille lausche, der tiefersinkenden Sonne zusehe und einfach sprachlos bin vor Staunen über diese Schönheit, bewegt sich hinter mir etwas. Plötzlich wird der ganze Strand lebendig: lauter kleine graue Waldlemminge huschen am Rand zwischen den Steinen auf und ab. Es geht zu wie auf einer Autobahn. Eine Spitzmaus quietscht kurz und macht sich auf die Jagd nach Kleingetier am Strand und etwas höher an der Böschung lugt eine hellgraue Maus mit grossen Ohren zwischen den Steinen hervor. Etwas weiter entfernt am Strand sehe ich dann auch meinen allerersten Berglemming und bin ganz hingerissen als er auf knapp zwei Meter näherkommt. Wenn ich jetzt schon wüsste wie vielen Lemmingen ich in den nächsten Wochen noch begegnen werde …!
Ich glaube mich in einem Zaubermärchen: Das gelbe Licht der hinter den Wolken tiefstehenden Sonne und die gleich hinter mir hin- und herhuschenden Lemminge haben etwas Magisches. Wenn ich mich bewege verstecken sich die Lemminge, kommen aber sehr schnell wieder hervor und bleiben manchmal auf einem Stein sitzen, um mich zu betrachten. Gegen 1:30 sind meine Füsse kalt und ich gehe bei orangerotem Sonnenlicht schlafen. Es ist die erste einer ganzen Reihe dieser magischen Nächte, die ich mit der Mitternachtssonne noch erleben werde. In der Nacht wache ich wiederholt auf, weil Lemminge auf dem Saum meines Tarps oder drunter laufen und auf die Alu-Rettungsdecke springen. Dort erschrecken sie sich so, dass sie gleich wieder flüchten und mein Futter nicht anrühren. Einmal läuft ein Lemming am Rand meines Moskitonetzes vor meinem Gesicht vorbei.
11.7.
Erst gegen 8:20 stehe ich auf – und es wird im Lauf der nächsten Wochen täglich später werden, weil es ohnehin durchgehend hell ist und ich meinen Rhythmus frei wählen kann. Mein Lagerplatz ist nicht so ganz toll, so dass ich ohne Frühstück aufbreche und über die nächste Bucht paddle. Ich finde bald einen schönen flachen Lagerplatz (den ich auf die Entfernung nicht ganz sicher erkennen konnte) – hätte ich doch weiterpaddeln können – und koche mir mein Frühstück mit dem BushBuddy an der schon vorhandenen Feuerstelle. Das kleine Holz ist schon wieder trocken genug. Es hat nur mehr 25°, ist sonnig und windig – aber aus der richtigen Richtung! Trotz der wunderbaren Bedingungen fühle ich mich immer noch etwas gestresst, habe zwar Hunger, aber keinen Appetit und bin überhaupt nicht schläfrig.
Doch mein Rucksack ist schon spürbar leichter für die heute anstehenden Wanderetappen über die kleinen Halbinseln. In einer Bucht lege ich an und verpacke mein Boot und schon nach einer guten halben Stunde quer durch den Wald bin ich wieder in der nächsten Bucht. Auch die kann ich mit Rückenwind durchpaddeln und erreiche zu Fuss wieder nahezu punktgenau das andere Ende der Halbinsel. Jetzt wird der Wind stärker und kommt mir vor allem entgegen, in der Ferne türmen sich auch schon wieder die Wolken auf und es donnert.
Es wird Zeit für eine längere Wanderetappe, denn die Federwolken der letzten Tage kündigten schon einen Wetterwechsel an. An einem Sommercottage in Einari lege ich an und packe das Boot zusammen. Noch einmal ordentlich Wasser in mich eingefüllt, denn es hat wieder 27°.
Auf der Sandpiste nach Nellim ist nur wenig Verkehr, ich komme zügig voran. Am Kreuz von Tsarmijärvi mache ich eine ausgedehnte Mittagspause. Das traveller’s cross ist eine Erinnerung der Kolta Sami an ihre Heimat und die verstorbenen Angehörigen auf Friedhöfen, zu denen sie seit der Vertreibung aus Petsamo 1944 (heute Russland) keinen Zugang mehr haben. Es ist ein ausgesprochen schöner und sehr stiller Platz am See.
Bald komme ich in Nellim an und zweige auf einen Wintertrail Richtung Kirche ab. Nach einigen Umwegen und wenige Minuten bevor das nächste Gewitter niedergeht erreiche ich die orthodoxe Holzkirche, wo ich mich unterstellen kann. Mit der Kirche und ein paar Wohnhäusern habe ich genug von Nellim gesehen und es geht es weiter bis zum Laavu am Nellimjärvi.
Dort gibt es auch eine Sehenwürdigkeit, eine Schwemmeinrichtung zum Flössen der Baumstämme von einem See in den nächsten. Der Weg zieht sich, ich bin inzwischen müde. Neben den vielen Steinen und Wurzeln geben mir auch meine eigenen Füsse laufend Anlass zu stolpern. Aus dem Zweiten Weltkrieg gibt es hier noch Stellungen der Deutschen, aber das interessiert mich nicht so sehr, dass ich dafür die Umwege in den Wald mache.
Es ist auch um 21:00 noch feucht-warm wie in den Tropen und von unzähligen Moskitos begleitet treffe ich endlich am Laavu ein. Nach einer ersten Pause kann ich mich zum Wasser holen aufraffen und bereite endlich hungrig mein Abendessen Quinoa mit Käsesauce und Tee zu. Mit einigen Heringen kann ich mein Moskitonetz befestigen und schlafe bald ein. Es gibt zwar auch eine Hütte, aber ich schlafe lieber mit dem offenen Dach, rauschendem Wasser und direktem Blick in die Landschaft. Gegen 23:00 bin ich in meinen Quilt eingerollt und es gewittert schon wieder. Die Nacht ist kühl und angenehm – auch für die Maus, die aus einem meiner Futterpakete, das am Boden steht, die Cashewnüsse rausfrisst.
12.7.
Heute gibt es erstmals dieses Lappland-Schmuddelwetter: feines Nieseln, ein Temperatursturz von 30° gestern auf 13° heute, mein Atemhauch ist in der Luft sichtbar. Also bleibe ich erst einmal bis 11:00 im Warmen liegen, schaue den Vögeln und der Maus zu, die mich im Laavu besuchen. Irgendwann stehe ich doch auf und bereite mir ein ausgiebiges Frühstück mit Tee und Literatur. Dann gibt es eine kleine Besichtigungstour zur Flössanlage (uittorännä) und bevor ich aufbreche kommen zwei Besucher vom nahen Parkplatz.
Bis zurück zur Hauptstrasse und auch später noch bin ich so nahe an der russischen Grenze wie erlaubt. Überall stehen Info-Tafeln zur Grenzzone und jeder zweite Baum ist gelb markiert.
Die frühere Eismeerstrasse führt über den Pasvikfluss, der Teil des trilateralen Parkes von Finnland, Norwegen und Russland ist und früher die Verbindung Finnlands ans Eismeer war. Ein seltsamer Ort.
Es bleibt neblig, trüb, windig und nieselt von Zeit zu Zeit, aber beim Gehen ist mir warm genug. Mittagspause mache ich an einem Porrokämppä in einer Kota, die offen ist. Leider habe ich kein Wasser und so gibt es keinen Tee. An einem Sumpf versucht mich einer dieser langbeinigen und langschnäbligen Sumpfvögel (dunkler Wasserläufer?) zu attackieren – eine Mutter, die ihre Jungvögel schützen möchte. Ein Eichkatzerl im Baum, viele Meisen, Rentiere. Die Moskitos halten sich in Grenzen, aber inzwischen bin ich an den Beinen doch einigermassen zerstochen mit anfallsweisem Juckreiz.
Am Nachmittag komme ich am Parkplatz, wo der Piilola Polku beginnt, an. Auf der Strecke hat mich ein zum Wohnmobil umgebauter Oldtimer-Bus mit deutscher Nummer überholt, der nun hier parkt. Als ich am Parkplatz eine Teepause machen möchte, stellt sich heraus, dass es ein Tierärztepaar aus Deutschland ist und wir gehen ein kurzes Stück gemeinsam in Richtung Kessijärvi. Welche lustigen Überraschungen einem das Reisen immer wieder beschert!
Auf dem weiteren Weg beginnt es kurz vor der Hütte von Kessijärvi zu regnen und ich bin froh, nach dem langem Strassenmarsch von heute, um 19:30 endlich hier angekommen zu sein. Zuerst hacke ich ein bisschen Holz und schnitze ein paar Firestarter, um die Sauna, die es bei dieser Hütte gibt, anzuheizen. Gute zwei Stunden lang geniesse ich den Wechsel von heiss in der Sauna und kühlem Regen mit erfrischendem Bad im See. Meine Socken und Schuhe trocknen in der Sauna gleich mit. Um 22:30 gibt es Risotto zum Abendessen und dann ab zum Schlafen. Hier gibt es sogar Matratzen auf den einfachen Holzpritschen.
13.7.
Es regnet die Nacht durch und in der Früh gibt es immer noch Regen und viel Wind. Meine Entscheidung ist eigentlich keine: Regen und Wind steht gegen warme Hütte und Sauna. So verbringe ich einen ersten von mehreren zufriedenen Trödeltagen mit Fenster(Fern-)schauen, Lesen, Essen, Karten studieren und kurzen Ausflügen nach draussen, um zu spüren, wie sich das Wetter anfühlt.
Es hat 15° in der Hütte, aber bis jetzt heize ich nicht ein, um mich nicht ganz an den warmen Komfort zu gewöhnen. Um 12:30 gibt es ein Frühstück mit Porridge. Gegen Mittag kommt Ari, mit jeder Menge nassem Zeug und heizt die Hütte ordentlich ein, um alles zu trocknen. Er war wandern und fischen und hat am Fluss im Regen campiert. Den ganzen Nachmittag gibt es weiterhin Regen und Wind ohne Ende. Erst am frühen Abend reisst es etwas auf und ich paddle eine kleine Runde auf dem Kessijärvi. Danach gibt es wieder Sauna und Ari probiert es mit dem Fischen am Abfluss des Kessijärvi. Zum Abendessen gibt es keinen Fisch, aber Grieskoch – und in der Nacht wird es langsam auch sonnig. Pünktlich zum Schlafengehen taucht die Maus auf, die ich in der vergangenen Nacht schon gehört habe und klettert munter am Brennholz entlang auf die Regale.
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Schön zu hören, dass du wieder gut zuhaus angekommen bist. Freu mich schon auf einen schönen Bericht!
beste Grüße aus dem Allgäu
Das Bild hast du toll getroffen, ich kann es kaum erwarten, hier mehr über dein finnisches Abenteuer zu lesen!
Gerald
Super Bericht und tolle Bilder!
Freu mich schon auf die Fortsetzung.
great pictures
Suo, järvi, metsä, sopuli, tunturi, poro, joki, autiotupa. Hyviä kuvia! Wautsi wau 🙂
Beeindruckende Bilder, danke für diesen wunderschönen Bericht!
Liebe Grüße
Markus
herrliche fotos und ein bericht, so lebendig, als ob man dabei gewesen wäre.
Danke für das nette Feedback – freut mich, dass das Abenteuer so gut rüberkommt! Einige spannende und lustige Erlebnisse kommen noch …
Bei Sonne und blauem Himmel ist es in der Gegend wirklich leicht ein paar schöne Bilder mitzubringen 😉
Und die ganze Tour war hatte nur ganz wenige Type2Fun-Momente – no fun to do, but fun to speak about.
tf: Glad that you like the pics – I will try to make a short trip report in english.
@Piia : Yes, I learned many new words! 🙂 Thanks for all your help and support.
Kiitos!
Klasse, schöner Text und tolle Bilder
LG
Folko