10.8.
Gegen 0700 wache ich auf und geniesse eine weitere Runde in meinem kuschelwarmen Daunenschlafsack. Aber wenig später hat sich ein Steinschmätzer bei seiner Mutprobe bei der offenen Hüttentür hereingewagt und versucht nun beim geschlossenen Fenster hinauszukommen. Ich rette ihn und mache ein Porträt bevor ich ihn wieder in die Freiheit entlasse. Kurz darauf trapst einer auf dem Fussboden in die Hütte und ich muss noch zwei weitere befreien und porträtieren, die sich wie der erste verirrt haben.
Heute ist ein Ruhetag – wenn das Wetter schön wird möchte ich gerne einmal um die Insel paddeln, aber es bleibt trüb und windig bei 13° in der Hütte. Also wird ein richtiger Faulenztag daraus und ich geniesse die Ruhe und ein Buch.
Am Abend kommt eine deutsche Familie, die ich schon lange am Ufer des Sees entlangwandern sehe. Die geringste Bewegung oder farbliche Abweichung fällt in der weiten Landschaft sofort auf! Es wird noch ein netter Abend.
11.8.
Nach einem gemütlichen Frühstück packe ich mich um 1015 zusammen und wandere los. Ausgeruht und gehfreudig wie ich heute bin habe ich die Familie schon nach wenigen Minuten abgehängt und treffe sie erst ein paar Tage später wieder am Amitsorsuaq beim Paddeln. Ab hier habe ich auch wieder eine Karte. Es ist immer noch trüb, durchgehend bedeckt, aber windstill. Eine mögliche Paddelstrecke lasse ich aus, weil es leicht zu regnen beginnt und still sitzen, Wasser von unten und von oben ist mir zu kalt.
Das Wetter lädt so gar nicht zu langen Pausen ein und so gibt es zwischendurch immer nur kleine Snacks, keinen Tee. Der Rucksack ist keine besondere Last und bleibt als Isolation immer am Rücken, auch wenn ich mich kurz hinsetze. Auf der Karte ist der folgende Abschnitt in die Berge Iluliumanersuup Portornga bis auf 450m als schwer gekennzeichnet, aber ich finde das Gelände nicht besonders anspruchsvoll. Es nieselt schon seit ein paar Stunden leicht und auf der Höhe im Fjäll kommt noch Wind dazu. Also fleissig vorwärtsgehen und schon um 1445 bin ich bei der nächsten Hütte Itinnera wo der Itinneq in den Fjord Maligiaq mündet. Hier führt der Versuch einer Strasse (für Bagger und Allradfahrzeuge) vom Fjord durchs Gelände und über die Berge, für ein Wasserkraftprojekt.
An der Hütte treffe ich Micha aus dem ODS – er erkennt mich an meinem Keimlingsbecher, der am Rucksack baumelt!
Ich mache hier eine verspätete Mittagspause, aber die Hütte gefällt mir nicht so gut, dass ich hier bleiben möchte; das Wasser ist auch ziemlich weit weg in dem Rinnsal von Bach, das nach dem Stau auf der anderen Seite übrig noch bleibt. Na, dann hänge ich doch einfach noch eine Etappe von gut 10 km dran und wandere weiter. Es geht überwiegend eben, aber vielfach sehr sumpfig an der Felskante am Rande des Itinneq-Tals entlang bis ich zur Furt über den Fluss komme. Die Brücke und den anschliessenden Weg quer durch den Sumpf habe ich gar nicht in Erwägung gezogen. Wenn mir der Itinneq zum Furten zu tief ist paddel ich drüber!
In wenigen Minuten ist mein Boot abfahrtbereit und ich über den schmalen Fluss drübergepaddelt; genauso schnell ist auf der anderen Seite alles wieder zusammengepackt: trocken und warm!
Nach der sumpfigen Ebene auf Meereshöhe geht es heute zum zweiten Mal hinauf in die Berge auf über 400m, recht steil diesmal. Aber ich bin in trotz der inzwischen beinahe 30 km Etappe topfit, im flow und mit grossem Vergnügen über den griffigen Felsuntergrund ziemlich rasch oben auf dem Fjäll.
Auf dem Plateau, wo es in Wirklichkeit dauernd auf und ab geht sehe ich ein junges Rentier, einen Schneehasen und zahlreiche Schneehühner.
Nach jeder Geländekante denke ich, die Hütte müsste doch jetzt endlich auftauchen, aber wieder sind da nur Felsen, auf und ab. Erst im letzten Moment kommt aus dieser Gehrichtung die Hütte Ikkatooq in Sicht – die einzige, die sich nicht in strahlendem Rot von der Landschaft abhebt, sondern grau ist. Gegen 1930 komme ich nach einem perfekten Wandertag hier an, wieder habe ich die Hütte alleine … vorerst.
Am See kann ich mich und meine Wäsche waschen, zum Abendessen gibt es … Pasta, diesmal mit Käse und Olivenöl. Auf den Holzpritschen ist es mit meiner TAR RidgeRest als Unterlage zwar etwas hart, aber wenn ich meinen Körper richtig hinlege, doch kein Problem.
Gegen Mitternacht wache ich auf und höre es vorsichtig an der Türe krabbeln – Frieder kommt noch im letzten Dämmerlicht an. Seine Schuhe waren kaputt und so ist er den ganzen Weg vom KanuCenter in Crocs marschiert. Wir trinken noch gemeinsam einen Tee und unterhalten uns bevor wir schlafen gehen. Also – ich gehe schlafen und Frieder packt die Säge aus, die Motorsäge! Nur gut, dass mich so etwas nicht wirklich vom Schlafen abhalten kann.
12.8.
In der Früh lassen wir es langsam angehen und Frieder lädt mich auf ein warmes Frühstück mit Haferflocken, Mandeln und Cranberries ein. Wir tauschen noch einige unserer Erlebnisse aus – Frieder ist schon das fünfte Mal am ACT – und geht jeder seiner Wege.
Der Trail verläuft noch eine gute Stunde in den Bergen – für mich ist es einer der schönsten Abschnitte auf dem Trail mit wunderbaren Aussichten. Zum positiven Gesamteindruck trägt ganz gewiss auch der strahlende Sonnenschein bei blauem Himmel bei. Der Ausblick von der letzten Kante vor dem Abstieg über den Tasersuaq und bis zum Inlandseis ist unfassbar schön!
Nach dem steilen Abstieg vom Fjäll – ich kann immer wieder die Crocs-Spuren von Frieder sehen – mache ich am Sandstrand des Tasersuaq eine kleine Pause. Eine Gruppe von grönländischen Jugendlichen in Badehosen plantscht im eisigen Wasser und kommt zu mir gelaufen, als ich mein Packraft aufblase. Sie erklären mir zu ihren Badefreuden „It’s hot“ aber ich finde es bestenfalls „warm, not hot“ – ist alles relativ. Während die Gruppe sich auf ins Fjäll macht, paddle ich um die kleine Halbinsel des Tasersuaq, wo ich mein Camp einrichten will. Unmittelbar hinter der Landspitze sind drei Eistaucher im Windschatten – zwei tauchen ab und verschwinden leise, der dritte strampelt laut flatternd übers Wasser und kann sich vor Entsetzensrufen eine Viertelstunde lang kaum wieder beruhigen, obwohl er schon ganz weit draussen ist. Immer wieder beginnt er aufs Neue seine fassungslosen Warnrufe.
An einem kleinen Strand lege ich an und suche mir auf der Landzunge einen schönen Lagerplatz. Ich faulenze den ganzen Nachmittag in der Sonne und als ich mir gegen Abend ziemlich sicher bin aus welcher Richtung der Wind, weht baue ich auch mein Tarp auf. Kaum habe ich alles eingeräumt und mich selber installiert, dreht der Wind natürlich und kommt jetzt mit zunehmender Stärke aus einer anderen Richtung. Nur gut, dass die Windmaschine nach einer kurzen intensiven Phase am Abend über Nacht meistens aus ist.
13.8.
Ich schlafe gut wie immer und wache gegen 0600 auf, weil die Vögel auf meinem Tarp und in der Umgebung herumturnen. Es scheint die Sonne und der See liegt spiegelglatt vor mir. Als ich das nächste Mal aufwache ist es 0920, wolkenlos, sonnig warm und immer noch windstill. Bestes Wetter für mein Packraft auf dem Tasersuaq! Doch innerhalb weniger Minuten kommt Wind auf und die Wellen am See haben schon alle Schaumkronen. Doch nichts mit dem Paddeln.
Heute gehe ich wieder nur eine kurze Etappe bis zum KanuCenter am Amitsorsuaq und mache dort schon wieder einen halben Ruhetag. Die angebenen Gehzeiten am ACT und 10-12 Gehtage sind für mich völlig illusorisch – ich muss mich in meinen Tagesetappen begrenzen, sonst bin ich schon in 5-6 Tagen durch!
Unterwegs im Sumpftal treffe ich zwei Briten, die nach einem Forschungsaufenthalt am Rand des Inlandseises zum Abschluss noch den ACT wandern. Sie erzählen von den Moschusochsen und den Polarfüchsen und machen mir Hoffnung, dass ich auch noch welche sehen werde.
Am Westende des Amitsorsuaq packe ich wieder mein Packraft aus und paddle die letzten paar Kilometer bis zur KanuCenter Hütte. Die verbeulten Alu-Kanus die hier am Lagerplatz herumliegen wären mir viel zu schwer.
Schon gegen 1500 komme ich an der Hütte an – und habe sie wieder für mich alleine. Auf der perfekten Sonnenterrasse lege ich mich im Windschatten in meinem multifunktionellen Packraft in die Sonne und geniesse den warmen Tag. Gegen 2200 gibt es einen schönen Sonnenuntergang, den ersten den ich hier in Grönland überhaupt erlebe.