6.8.
Schönes Wetter, blauer Himmel! Ich gehe zum Hafen und schaue dem Treiben dort zu, die Fram von Hurtigruten ist auch gerade da und spuckt Unmengen von türkisbejackten Touristen aus. Nach einem kleinen Spaziergang gehe ich ins grossartige Museum … … von Sisimiut und lerne dort viel über das frühere Leben und die Entwicklung an der grönländischen Westküste. Zum Abendessen (wie auch morgen zum Frühstück) gibt es heute Ham&Eggs – das sind so die Essensträume, die einem vorschweben, wenn man wandert und die man sich unbedingt erfüllen muss, sobald sich eine Möglichkeit dazu ergibt. Jeden Tag Pasta ist wirklich gut, aber es geht doch nichts über eine grössere Portion Eiweiss!
Am Abend wandere ich noch ein Stück Richtung Meer, aber der Wind ist so unangenehm, dass ich an den letzten Felsen umdrehe bevor ich noch an die Küste komme. Morgen geht es endlich auf den Arctic Circle Trail!
7.8.
Alles ist fertig zusammengepackt, neues Futter (Müsli, Nudeln, Rentier-Jerky, Moschusochse geräuchert, Weingummi! Schoko!) ist eingekauft – nichts hält mich mehr vom ACT ab! Den Weg kenne ich auch schon und gehe ihn nun zum dritten Mal, was mich aber nicht daran hindert ihn immer wieder einmal zu verlieren.
Wie ich später auf dem Rückweg von Kangerlussuaq nach Sisimiut feststelle ist es beinahe unmöglich den Weg in dieser Richtung zu verlieren, aber ostwärts ist er vor allem nach sumpfigen Stellen immer wieder einmal einfach weg.
Am Fluss mache ich wieder meine Mittagspause – es gibt sauberes Wasser, genug Holz und eine schöne Aussicht auf den bevorstehenden Aufstieg.
Die kaum 400 HM auf das Fjäll sind easy mit meinem leichten Rucksack, insgesamt werden es vielleicht noch an die 12kg sein – die behindern beim Aufstieg kaum.
Beim Abstieg verpasse ich wieder einmal den Trail, obwohl ich weiss wo er verlaufen müsste, aber das Gelände ist so gross und weitläufig, dass ich ihn selbst von erhöhten Aussichtspunkten nicht wiederfinde. Also überquere ich den Wildbach sehr weit oben und steige am rechten Ufer ab. Dort finde ich ein kleines Nylonsackerl mit Rosinen und Erdnüssen, das mit Sicherheit erst ganz kurze Zeit auf dem Weidengestrüpp liegt. So unwahrscheinlich es bei dieser weiten Landschaft klingt, hat auch jemand anderer genau meinen Weg genommen. Ich freue mich jedenfalls und sage danke für den Beweis von trail magic.
Schon um 1620 bin ich an der Hütte (Start 1000) und drei Griechen haben neben der Hütte ihre Zelte aufgebaut. Wir unterhalten und gut, kochen gemeinsam und später trudelt noch eine ultra heavy grönländische Damentruppe ein. Wir schlafen zu fünft in der Hütte und die Damen bestehen auf einer geschlossenen Tür – naja, was soll ich sagen …Trekkingfood macht seltsame Gerüche …
8.8.
Die vier Grönlanddamen beginnen ihren Aufbruch um 0600 (!!), um 0800 sind sie endlich alle draussen bei der Tür und ich kann noch eine Runde weiterschlafen. Schlafen ist überhaupt eine schöne Aktivität in Grönland und das immer noch beinahe durchgehende Tageslicht hindert mich nicht im Geringsten daran. Ich verliere auch meinen Tag-Nacht-Rhythmus nicht, bloss weil es durchgehend hell ist; mein Körper wird auch müden, wenn die Sonne in der Nacht scheint.
Auch die drei Griechen wandern los, nur ich sitze noch gemütlich mit meinem Müsli in der Sonne und gehe erst um 1000 los. Mein Schlafsack liegt zum Lüften auf einem Felsen in der Sonne und die allgegenwärtigen Steinschmätzer starten ihre Mutproben, indem sie versuchen auf dem höchsten Punkt zu sitzen – aber die Daunen geben natürlich nach und sie rutschen auf dem Nylon ab.
Bei jeder Rast, auf einem Stein sitzend, bin ich immer sofort von 10 oder mehr Steinschmätzern, ganzen Familienclans, umringt, die neugierig wippend auf den umliegenden Felsen sitzen und mich betrachten. Die Jungvögel haben schon ihre gelblich-orangen Bäuche, aber die grauen Baby-Daunen flattern noch im Wind und geben ihnen ein struweliges zerrupftes Aussehen.
Wieder einmal marschiere ich ohne Trail durch die Tundra. Bald habe ich aber den See erreicht – ab hier kann ich die nächsten Kilometer zur Abwechslung einmal paddeln. Vorher probiere ich es am Fluss noch einmal mit Angeln – erfolglos – und ausserdem löst sich die Leine von ihrer Befestigung an der Rute und ist mitsamt der Fliege ganz schnell weg im reissenden Wasser. Eine zweite Leine und einige Fliegen habe ich noch in Reserve, aber es freut mich jetzt nicht mehr. Ich paddle recht nahe am Ufer und in einiger Entfernung sehe ich einen Wanderer auf dem Trail, oder nein, es sind zwei die hintereinander gehen. Je näher ich herankomme, desto unmenschlicher wird die Gestalt – es ist ja auch ein Moschusochse. Es ist einer der ganz alten Bullen, die sich von den Herden im Osten trennen und alleine an die Küste wandern, wie mir Erik erzählt hat. Der Moschusochse sieht mich wunderliches Wesen im Wasser nur kurz an und zieht völlig unbeeindruckt weiter. Ich bin nicht mutig genug anzulegen, um mehr Bilder zu machen.
Am Ende des Sees packe ich mein Boot zusammen und bin beim nächsten Steinmännchen wieder am Trail. Allerdings nur für kurze Zeit – denn ich orientiere mich fälschlicherweise an einem der „Distanzmännchen“. Es gibt nämlich solche, die unmittelbar am Trail stehen und solche die nur grundsätzlich das richtige Tal markieren, aber unter Umständen sehr weit weg vom tatsächlichen Trail stehen. Na dann plage ich mich eben am Hang entlang, durch Bachbetten, kleine Schluchten und Weidengebüsch, das mir bis über den Kopf reicht. Bei einer dieser Bushwhacking-Passagen verliere ich meine Karte. Na super! Obwohl ich den Abschnitt auf die letzen 3-500m gut eingrenzen kann ist es praktisch völlig unmöglich genau den Weg zurückzugehen, den ich gerade erst durchs Gestrüpp gekommen bin. Also ist meine Karte weg.
Ich habe mir die Tagesetappe wie jeden Morgen einigermassen eingeprägt und so richtig verloren gehen ist auf dem Trail auch nur schwer möglich, aber ich fühle mich ohne meine Karte wie nackt.
Während meiner Mittagspause in einem weitgehend trockenen Flussbett mit nur einem Rinnsal sehe ich viel zu spät, dass ich zwei Wanderer verpasst habe, deren Karte ich noch einmal hätte konsultieren und fotografieren können – sie sind schon viel zu weit weg.
Aber ich durch die beiden habe ich den Trail bald wieder gefunden und folge ihm so lange … bis ich ihn durch Unachtsamkeit zwischen den beiden Flussquerungen des Nerumaq schon wieder verliere…
Was ich dann mit der Zeit gelernt habe: Nach Steinmännchen muss ich immer im 360° Radius Ausschau halten und nicht nur nach vorne oder ein bisschen rechts und links. Nicht einfach weitergehen in der Hoffnung es wird schon wieder eines auftauchen.
Also wieder durchs Gebüsch. Auf der falschen Flussseite folge ich also den Rentier-Trails (mit Rentier!), die auch durchaus schön und breit ausgetreten sein können und entscheide mich für den Aufstieg im linken Tal, weil mir mein inneres Bild der Karte sagt: immer links und bergauf war der Weg. Dann stehe ich oben, nach einem wilden und steilen Hangschrägaufstieg, knapp 300m, immer nach Steinmännchen Ausschau haltend, und was ich auf der anderen Seite des Passes sehe, sagt mir: Hier bin ich falsch! Hier hilft mir noch nicht einmal das GPS weiter, denn ohne Karte bringt eine Standortbestimmung ja nichts.
Das wichtigste, wenn man vorübergehend im Gelände verloren ist: rasten und essen!
Und dann eben wieder absteigen, das geht schneller und ist dadurch auch gefährlicher, weil man bei jedem Schritt in eines dieser fast unsichtbaren Löcher zwischen den Zwergbirken und Krähenbären hineintreten kann …
Mein Plan ist wieder zurück zum letzen Steinmännchen zu gehen, das mir noch in Erinnerung ist und von dort neuerlich den Weg zu suchen, oder zu warten bis wieder jemand vorbeikommt.
Beim Abstieg schaue ich noch in das andere Tal – weil eine andere Möglichkeit für den Trail gibt es ja nicht, wenn mein Entscheidung für links falsch war. Und siehe da – unten neben dem Fluss sehe ich ein Steinmännchen! Und den Trail – ganz deutlich ist er zu sehen. In meiner Freude muss ich mich beim Abstieg bremsen, um nicht in eines der Löcher zu fallen oder in der unebenen Tundra umzuknicken. Am Fluss finde ich eine seichte Stelle, wo ich einfach durchgehen kann und der weitere Weg läuft eben und sumpfig am Fluss entlang. Nach einer knappen Stunde taucht vor mir eine Hütte auf – winzig klein ist sie wie ein rotes Legosteinchen zu erkennen. Und doch fällt sie einem sofort in der Landschaft auf, auch wenn sie noch so winzig ist. Die Freude ist durch die Überraschung verdoppelt, weil die Nerumaq Hütte nicht auf der Karte verzeichnet ist und ich sie gar nicht erwartet habe.
Auf dem ebenen Platz vor der Hütte stehen einige Zelte einer deutschen Wandergruppe und ich stelle mein Tarp auch noch dazu. Wasser holen, waschen und Wäsche waschen, Holz suchen und Abendessen kochen – inzwischen habe ich meinen Rhythmus gefunden. Am Abend beim Tee in der Hütte darf ich noch die Karte für die folgende Etappe studieren und Bilder machen. In der Nacht ist es windig und am frühen Morgen beginnt es zu regnen.
9.8.
Unterm Tarp schlafen ist schön – ich mache in der Früh die Augen auf und sehe schon ohne aus dem Schlafsack zu krabbeln, dass ich noch liegenbleibe. Es regnet und alles ist neblig – es gibt überhaupt keinen Grund so bald aufzustehen. Frühstück gibt es also im Bett!
Die Wandergruppe ist dicht verpackt schon aufgebrochen, aber ich bin nicht in Eile. Um 1300 bleibt der Himmel nach mehrmaligen Anläufen für längere Zeit dicht und ich beginne meine Siebensachen zusammenzupacken und marschiere los. Ab nun ist der Trail wirklich eindeutig und klar zu erkennen – ausserdem gibt es im Nerumaq-Tal gar keine Möglichkeit falsch abzubiegen.
Nach den ersten Metern treffe ich einen alten Dänen, der den ACT schon an die 30 Mal gegangen ist und beschlossen hat, jetzt wäre dann wirklich das letzte Mal.
Es geht lange auf den Moränen im Nerumaq-Tal dahin, immer zwischen knie-bis hüfthohem Weidengebüsch, das noch tropfnass vom Regen ist. Mit der aufgekrempelten Regenhose bleibe ich zumindest bis zum Knie einigermassen trocken, darunter ist es mir egal, wenn ich nass bin.
Nur ein einziges Mal bin ich noch kurz am Zögern als sich der Trail an einer sumpfigen Stelle mit Rentierspuren verliert. Im rechten Tal zieht scheinbar ein Pfad den Hang hinauf, aber in Wirklichkeit ist es ein kleiner Bach. Im anderen Tal sehe ich am Horizont ein kaum sichtbares Steinmännchen und es gilt nach wie vor: immer bergauf auf beinahe 500m und links an der Wand entlang. Vom Steinmännchen am Horizont geht es eine gute halbe Stunde weiter zum nächsten Steinmännchen am Horizont … und dann noch einmal, bis ich endlich auf den See mit der Insel hinunterschauen kann. Ah – da kommt eine neue Paddelstrecke bis ans andere Ufer zur Hütte Innajuattoq II.
Irgendwann gehe ich vom Weg ab und direkt ans Ufer des Sees. Dort ist mein Packraft schnell aufgeblasen und mit dem Rucksack beladen. Obwohl es wenig Wind gibt und der von schräg vorne kommt paddle ich immer nahe am Ufer entlang. Da sehe ich an den vorbeiziehenden Steinen wenigstens, dass es doch vorwärts geht und ich nicht auf der Stelle bleibe, wie es die weite Sicht übers Wasser vermittelt. Ausserdem äst am Ufer ein männliches Rentier mit einem weit ausladenden Geweih. Er ist so vertieft, dass ich ohne bemerkt zu werden anlegen und mich weiter anpirschen kann. Aus wenigen Metern Abstand pfeife ich einmal kurz, keine Reaktion – vielleicht hat er sich verhakt, ist krank? Aber nein, nach einem kleinen Geräusch bemerkt er mich doch, lässt sein entsetztes pfeifendes Schnaufen hören und läuft in elegantem Trab los. Wie beinahe alle Rentiere bleibt er noch ein paar Mal stehen und beäugt mich.
Nach rund einer Stunde bin ich an der Hütte, allein. Die ist ziemlich neu, gross und sehr schön – nur rundherum ist alles vermüllt, mit Papiertaschentüchern und Hygieneartikeln aller Art, Hundekadavern, Flaschen, abgerissenen Seilen etc. Schade, dass Wanderer so rücksichtslos sind und den Grönländern ist es auch egal, weil ohnehin 9 Monate Schnee drauf liegt.
Ich richte mir meinen Schlafplatz nahe am Fenster ein und bereite mir eine Portion Putencurry mit Spätzle zu. Heute hat es tagsüber nur ein paar Löffel zerbröselte Chips und Wasser gegeben und jetzt bin ich richtig hungrig.
Für zwei Stunden ist am Abend die Windmaschine an und der See macht richtig grosse Wellen. Gegen 2100 gehe ich schlafen und irgendwann ist es wieder windstill.