Finnland – on the rocks
14.7.
Heute früh ist es wieder sonnig, wenn auch windig und daher ziemlich frisch. Ideales Wanderwetter! Ari schenkt mir noch drei Fliegen zum Fischen; Streichhölzer und ein weiteres Feuerzeug, nachdem ich ihm die Geschichte von meinem nicht funktionierenden Bic erzählt habe. Überhaupt sind Streichhölzer viel besser zum Feuer machen als ein Feuerzeug, vor allem bei Wind.
Der Ruhetag war super, ich fühle mich wohl und freue mich aufs Weitergehen. Noch schnell die Hütte ordentlich saubermachen und schon im 9:00 bin ich unterwegs! Ari ist schon so um 6:00 herum aufgestanden.
Ich wandere nun mitten in der Vätsäri Wilderness und der Weg führt durch wunderschönen lichten alten Wald. Manchmal habe ich fast den Eindruck in einer Parklandschaft zu sein, nur die vielen Steine um die der Weg im dauernden Slalom herumführt und der viele Sumpf passen nicht so ganz zum gepflegten Park.
Aufs Bild klicken vergrössert das Waldpanorama
Einen kleinen Fluss überquere ich mit dem Boot, obwohl er nur ein paar Meter breit ist. Aber der ausgiebige Regen hat den Wasserstand und die Strömung erheblich steigen lassen – und ich muss mich ja nicht bis zur Hüfte nass machen!
Am Laavu von Nuottamajärvi bin ich in 2,5 Stunden und da gibt es eine ordentliche Mittagspause. Mit dem trockenen Holz habe ich rasch ein kleines Kochfeuerchen an und koche Tee. Mittagessen gibt es wie immer Roggenweckerl, Speck, Käse, Beefjerky. Zum Nachtisch gibt es gegrillte Marshmallows. Mmmh!
Nach der Pause paddle ich in der Sonne wieder ein Stück auf dem Nuottamajärvi bis der Wind so stark wird, dass mir die Wassertropfen ins Gesicht fliegen. Kurz darauf blase ich mein Boot zum dritten Mal für heute auf, weil wieder eine etwas breitere und tiefe Furt ansteht.
Herrlich bequem und trocken bin ich auf der anderen Seite – alleine dafür zahlt sich das Tragen des Packrafts schon aus! Und das Aufblasen und Zusammenlegen des Bootes dauert auch nicht länger als andere Wanderer zum Wechseln der Schuhe und Wiederanziehen brauchen. Ausserdem habe ich ja richtig viel Zeit und keine Eile! Auch die Moskitos die mich umschwirren finden das.
Der alte Kiefernwald ist zauberhaft schön; es sieht zwar in jeder Richtung gleich aus, aber der Unterwuchs ändert sich doch immer wieder einmal ganz subtil und man kann ganz weit zwischen den locker stehenden Stämmen durchsehen.
Die letzten 500m vor der Hütte geht es weitgehend durch den Sumpf, in dem nach dem Regen natürlich auch richtig das Wasser steht. Es gibt auf jedem kleinen Sumpfhügel leuchtend rote und orange Lakkabeeren – alle leider noch weit entfernt vom reifen Gelbton.
Um kurz nach 16:00 bin ich an der Piilola Hütte und wasche grade meine Socken nach der letzten Sumpfpassage als wieder ein kleiner Regenschauer beginnt. In der Hütte heize ich ein, nicht weil es so kalt ist, sondern so schön und entspannend! Die Schuhe und Socken hängen an der Wäscheleine, um für die ersten paar Meter in der Früh trocken zu sein. Viel länger dauert es nicht bis wieder alles nass ist.
Dann lese ich das Hüttenbuch – eine der wichtigsten Unterhaltungsquellen in den offenen Hütten. An dieser Hütte steht auch die Entscheidung an, ob ich die Vätsäri Wilderness im Osten entlang der finnisch-norwegischen Grenze durchquere oder eher in der Mitte und nahe am Inarisee bleibe. Im Hüttenbuch finde ich den Eintrag einer tschechischen Gruppe, die in 2009 eine ähnliche Querung von Vätsäri und Kaldoaivi unternommen hat und mir gibt das Packraft natürlich noch viel mehr Möglichkeiten bei der Querfeldein-Wanderung. Kartenmaterial habe ich für beide Varianten und ich finde den höheren Paddelanteil auf dem mittleren Weg verlockend – gut wie das Wetter bisher war!
Inzwischen scheint auch wieder die Abendsonne und es hat windstille 18°. Zum Abendessen gibt es eine Stroganoff-Variation mit Pürree und dann früh ins Bett.
15.7.
Obwohl ich müde war bin ich erst spät eingeschlafen – es dauert so rund eine Stunde bis das Gehirn alle erforderlichen Umschaltungen vorgenommen hat und ausreichend Melatonin zum Schlafen da ist. Vorausgesetzt ich schaue nicht alle Viertelstunden wieder nach draussen auf den in der Abendsonne daliegenden Nammijärvi.
In der Früh hat es nur 11° und ist sonnig, aber der Wind ist ausreichend, um Paddeln unangenehm zu machen – weil er ausserdem aus der falschen Richtung kommt. Es wird also einmal nichts mit dem Paddeln am Nammijärvi, schade. Ich trödle beim Frühstück, Ovomaltine-Müsli und Tee, heize noch einmal ein, hacke Holz – alles um die endgültige Entscheidung, wo ich heute hingehen soll, noch einmal hinauszuzögern. Dann muss auch noch die Hütte ordentlich saubergemacht werden – aber um 10:30 bin ich abmarschbereit.
Auf einem kleinen Pfad gehe ich am See entlang und treffe gleich hinter der Wildnishütte auf die leeren Hütten der kleinen Siedlung Piilola am Nammijärvi. Nach und nach verliert sich der Weg und ich folge den Rentierpfaden – so lange sie in meine Richtung gehen. Rentiere kennen immer den besten Weg, bequem und sicher, und wo ein Rentier geht, kann ich auch. Am Seeufer entlang verliere ich mich im Wirr-Warr der Halbinseln und stehe auf einer schmalen, die einen langen Umweg erfordern würde. So ganz genau weiss ich auch nicht wo ich bin, nur die Richtung ist klar, weil auf die habe ich in der Früh meinen Kompass eingepeilt. Aber wozu habe ich schliesslich ein Boot? Mehrere kleine Buchten sind viel einfacher paddelnd zu überqueren als rundherum zu gehen und der Wind ist hier auch nicht so stark wie auf dem offenen See. Das Packraft erschliesst mir damit ganz einfach den direkten Weg quer durch die Bucht. Dort wohnt auch eine der wenigen Singschwan-Familien Finnlands mit drei Jungen. Die Eltern fliegen auf und umkreisen mich, während die noch flugunfähigen Jungen auf dem Wasser bleiben.
Am Nordende des Sees ist wieder Boot zusammenpacken und Wandern angesagt. Mit dem Kompass peile ich das X auf dem Surnuvuono des Inarisees an und dann geht es durch den Wald und zwischen den Felsen bergauf. Dann wieder bergab, bergauf. Ganz viel bergab zwischen Geröll. Ich habe nicht die geringste Ahnung wo ich bin und den See, der auf meiner Strecke liegen sollte, sehe ich vermutlich nur von weitem. Vor mir liegt eine ausgedehnte Sumpffläche, aber die ist laut Karte und auch in Wirklichkeit einigermassen gut zu durchqueren. Ein Regenbrachvogel und einige andere Stelzbeinige fliegen auf, Rentiere, vor allem Mütter mit Kälbern sehe ich immer wieder. Nach rund 4 Stunden mache ich meine Mittagspause an einem sumpfigen See. Während ich meinen Tee trinke schaue ich den Rentieren zu, wie sie den vor mir liegenden Sumpf durchqueren – auch der ist also machbar.
Dann folge ich weiter in direkter Linie meinem Kompass – über einen kleinen See, den ich auf der Karte nicht eindeutig zuordnen kann, paddle ich. Das Wandern besteht aus: warten bis sich die Kompassnadel eingependelt hat und Richtung kontrollieren, den entferntesten möglichen Punkt wie einen Baum oder Felsen ca. 30 bis 50 m vor mir aussuchen und dort hingehen – direkt oder auf Umwegen, wieder von vorne beginnen. Manchmal verändert sich die Optik meiner anvisierten Ziele durch die veränderte Perspektive oder sie verschwinden aus meinem Blickfeld oder ich vergesse welcher Stein das war, dann suche ich mir einen neuen Punkt, zu dem ich gehen kann. Wieder geht es dauernd ein wenig bergab oder bergauf und zwischen jeder Menge Felsen und Geröll hindurch, drüber, aussen herum – aber mein Grundsatz bleibt: Folge dem Rentier! (neben dem Kompass natürlich!)
Dann taucht vor mir ein Rentierzaun auf, und ich bin ganz glücklich, weil ich so meinen Standort auf der Karte finden kann. Unter dem Zaun komme ich leicht durch und es gibt noch mehr Felsen. Da leuchtet es blau zwischen den Bäumen durch und der frische Seewind ist auch schon seit einiger Zeit deutlich spürbar: Ich erreiche den Surnuvuono punktgenau an der angepeilten „X“-Markierung!
Obwohl ich bisher immer alle meine angepeilten Ziele gefunden habe, stresst mich doch, dass ich zwischendurch nicht die leiseste Ahnung habe wo ich bin – deutlich ausserhalb meiner vertrauten Komfortzone. Aber wegen dieses Gefühls unternehme ich ja auch solche Wanderungen.
Dem Ufer des Inarisees folge ich zur nächsten „V“-Markierung zuerst zu Fuss hoch über dem Steilufer und dann mit dem Boot. Es geht immer noch viel Wind, aber jetzt kommt er aus der passenden Richtung. Mein Biwak richte ich an einem kleinen Vorsprung ein. Das MLD Trailstar steht wegen des Winds eher niedrig und gut fixiert. Ich bin nach der körperlich, vor allem aber mental anstrengenden Wilderness-Etappe müde und hungrig, doch mein Appetit hält sich in Grenzen.
16.7.
Die Nacht war unbequem, weil ich mich entweder auf einen Stein oder irgendwie um ihn herum legen musste; der ragt an der einzigen flachen Stelle für mein Tarp etwas aus dem Boden. Weil ich nur Grieskoch und kein richtiges Abendessen hatte, wache ich leicht frierend um 3:45 bei strahlendem Sonnenschein und erfrischenden 7° auf. Mit einer Schicht Kleidung ist mir schnell wieder warm und ich schlafe weiter bis die Sonne richtig warm ins Tarp scheint. Die morgendlich frischen Temperaturen hindern mich nie daran mich im See zu waschen, obwohl ich grundsätzlich auf warmes Wasser sehr grossen Wert lege – da draussen ist es nie ein Problem sondern ganz normal. Zum Frühstück gibt es mein letztes Ovomaltine-Müsli – das ist der Hit unter meinen verschiedenen Frühstücksvariationen.
Bei Sonne und Rückenwind folge ich dem Surnuovuono bis zum Ende und trage ein kurzes Stück in den nächsten See Pitka Surnujärvi über. Am Ufer zeltet eine Gruppe Fischer und am See transportiert ein Motorboot neue Fischer zum Verbindungsfluss der beiden Seen. Nach einer knappen Stunde habe ich meine nächste Ausstiegstelle erreicht und rolle mit zahlreicher Unterstützung der anwesenden Moskitos und meinerseitigem Beifallklatschen das Packraft zusammen. Auf das schmalste Stück zwischen den Seen Valajärvi und Mällijärvi eingepeilt und los geht’s – bergauf! Heute bleiben die Moskitos zum ersten Mal auch während des Gehens lästig und begleiten mich überallhin, rasten ist nicht so wirklich gemütlich. Aber von einer echten Plage kann noch keine Rede sein, ich brauche weder DEET (das ich sowieso nicht dabeihabe) noch ein Moskitonetz über den Kopf.
Das Gelände ist anspruchsvoll, jede Menge Steine in allen Grössen liegen herum – jeder Schritt ist eine existentielle Entscheidung und fordert nicht nur körperliche Anstrengung, Trittsicherheit und Balance sondern ganz besonders allerhöchste Konzentration. Die trockenen Steine sind recht griffig, liegen fast immer stabil und das einzige Risiko ist, dass ein Stein, der sich die letzten Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte nicht bewegt hat, unter meiner Belastung wegkippt oder rollt. Mir fällt immer wieder die Geschichte von Aaron Ralston ein … Nur ein einziges Mal bin ich bisher auf einer schrägen Steinkante ausgerutscht und ohne Beschädigung bergauf an den Hang gefallen.
Schon nach einer Stunde bin ich an meinem angepeilten Punkt: nach einiger Zeit kann ich ihn sogar als den, wo ich hinwollte identifizieren. Mit dem Boot geht es über den See weiter und auf einer kleinen Insel mache ich meine Mittagspause – ohne Moskitos! In der Sonne ist es angenehm warm, aber wegen des kühlen Winds habe ich gerne meine Wind-/Regenjacke an. Zwei Eistaucher (Kuikka) schwimmen heran, als sie mich bemerken tauchen sie unter und erst ganz weit weg wieder auf. Es geht paddelnd weiter über den See, wo ich am Nordende aussteige und mich auf die nächste Querfeldein-Etappe einstelle. Dachte ich am Vormittag schon ich wäre in anspruchsvollem Gelände, so erweist sich das als Kinderspielplatz im Vergleich zu dem was jetzt kommt. Vermutlich habe ich zielsicher die wildeste und ungangbarste Ecke der Vätsäri Wilderness gefunden: Steine, noch mehr Steine, ganze Geröllfelder, die nicht zu umgehen sind, weil daneben noch mehr Geröllfelder liegen, auf und ab, unzählige kleine Seen (für mich auf der Karte unidentifizierbar). Die beiden Auerhähne, denen ich begegne meinten sich wohl ungestört in dieser wilden Ecke.
Glücklicherweise bin ich nach einer Stunde durch und kann den nächsten See – Kyyneljärvi – schon riechen bevor ich ihn sehen kann. Wieder komme ich punktgenau neben der Halbinsel an, wo ich hinwollte.
Von der Wanderung verschwitzt geniesse ich die Erfrischung mich im See zu waschen, Pause zu machen und zu trinken. Mein Plan ist Kyyneljärvi an der schmalsten Stelle zu überqueren und eine weitere Etappe durch den Wald bis zum Suolisvuono des Inarisees zu gehen. Der junge dichte Wald und die Scharen von Moskitos, die an meiner geplanten Ausstiegstelle auf mich warten, überzeugen mich, dass ich heute doch eigentlich paddeln wollte. Trotz des Gegenwinds bleibe ich am See und beschliesse der Paddelroute bis zur Hütte Suolistaipale zu folgen.
Nahe am Ufer paddelnd folge ich einer Seenkette, ein paar kurze Portagen, wo ein See zum anderen Verbindung hat und das Wasser selbst für ein Packraft zu seicht wird. Unter einem Rentierzaun kann ich durchpaddeln und ein kurzes Stück gegen die Strömung bergauf zum Suolisjärvi – auf dem grossen See geht der Wind so richtig! Mir bleibt nichts anderes übrig als dem linken Ufer in jede Bucht hinein, immer wenige Meter vom Ufer entfernt, zu folgen, weil alles andere zu riskant wäre. Zudem finde ich meine 1:25.000 Karten für diesen Abschnitt nicht und weiss nur eines: am linken Ufer halten. Jede Bucht, die ich nun am Rand entlang paddle hat natürlich noch einige kleinere Unter- und Unter-Unter-Buchten – die Kilometer summieren sich. Nur wenn der Wind von hinten kommt, quere ich eine Bucht direkt und lasse mich von den hohen Wellen Richtung Ufer tragen. Nach einer scheinbar endlosen Uferlinien-Paddeletappe in unwahrscheinlich viele Buchten hinein und gegen den Wind wieder hinaus, erreiche ich bei noch weiter auffrischendem Wind einen Rentierzaun und kann die Hütte schon sehen. Die letzten paar hundert Meter geht es zu Fuss und dann bin ich endlich an der Hütte, die auf einem ganz schmalen Landstreifen zwischen dem Inarijärvi und dem Suolisjärvi liegt.
Ein finnisches Paar auf einer Kajaktour ist schon da, aber die Hütte ist ohnehin gross genug. Nach einer Pause mache ich mir Spaghetti Bolognese zum Abendessen und nach ein paar Seiten Goethe ab zum Schlafen.
17.7.
Heute früh gibt es wieder Original-Lappland-Schmuddelwetter, Nieselregen grade genug um nass zu werden, Wind, kalt – also bleibe ich in der Hütte und sitze es aus. Laut dem Wetterbericht, den die beiden Paddler vor der Tour abgefragt haben, soll es am Nachmittag, spätestens aber am Dienstag wieder schön sein und 20 bis 22° haben. Futter habe ich genug und Zeit auch – es spricht gar nichts gegen einen gemütlichen Rasttag. Die Hütte ist sehr nett und im Warmen sitzend kann ich beim einen Fenster auf den Inarijärvi im Regen und beim anderen Fenster den Suolisjärvi im Regen sehen. Sozusagen Outdoor-Fernsehen mit zwei Programmen.
Direkt vor der Hütte tummeln sich die Wühlmäuse, Bachstelzen, Zeisige, Drosseln, verschiedene Meisen, Finken und Sänger.
Der Tag vergeht mit ein bisschen Nichtstun, Lesen und Fensterschauen rasend schnell. Am Nachmittag wird es tatsächlich ein klein wenig lichter und ich mache eine Runde um die Hütte, Holz hacken und fotografieren. Es herrscht eine sensationelle Stille, die nur vom eigenen – sonst meistens unauffälligen – Tinnitus-Brummton gestört wird. Einem kleinen Vogel schaue ich beim Powernapping zu: erst hat er sich eine kleine Bodenmulde gefunden bis ihn eine Wühlmaus, deren Loch dahinter lag erschreckt hat. Dann sitzt er auf einem Stein in einer kleinen Vertiefung, perfekt getarnt. Kopf für ein, zwei Sekunden unter den Flügel, aufsehen. Wieder Kopf verstecken. Die Intervalle werden länger bis zu einer halben Minute, wo er immer wieder aufsieht und dazwischen für Sekunden schläft. Nach rund 20 Minuten wacht er auf, streckt Flügel und Beine einzeln, schüttelt sich einmal ganz durch und fliegt weg.
18.7.
Der Ruhetag hat mir gut getan und ich fühle mich bereit für neue Strapazen. Um 10:00 stehe ich auf und frühstücke gemütlich, dann noch Hütte saubermachen. Draussen Boot aufblasen, Spot Messenger OK-Message losschicken und dann geht es gegen 12:00 los!
Die erste heutige Paddeletappe dauert dann grade einmal 12 Minuten, weil mir der Wind bei dem trüben, kühlen Wetter sobald ich auf den grossen See komme, wieder einmal zu viel ist, und da steht doch ein Rentierzaun … Schon früher habe ich gesehen, dass die Rentiere entlang der Zäune ausgetretene Pfade haben und die Idee, diesen bequemen Pfad zu benützen, ohne Navigationsanspruch, erscheint mir ziemlich gut. Jedenfalls besser als gegen kalten Wind zu paddeln und so nahe am Nass zu sein.
Die Pfade der Rentiere sind nicht immer die kürzesten, ganz im Gegenteil eher ein ausgedehnter Slalom. Rentiere sind zuverlässig in ihrer Einschätzung der Gangbarkeit und kennen immer den bequemsten Weg, den diese Landschaft zu bieten hat. Führt ein Rentierpfad um einen Sumpf herum ist es sehr klug, ihm zu folgen. Geht ein Rentier durch den Sumpf, dann ist er auch für mich problemlos passierbar (in der Hoffnung, dass es kein Elch-Pfad ist). Schon allein aus diesem Grund finde ich Rentiere äusserst sympathisch. So lange sie in die gleiche Richtung wie ich wandern. Auf dem Pfad liegen auch jede Menge der Elch-„Schokopralinen“, aber bei dem Lärm, den ich in diesem Gelände mache, sehe ich natürlich keinen. Zuerst folge ich dem Zaun entlang Richtung Osten und parallel zum Suolisjärvi, wieder jede Menge Steine, Sumpf, kleine Teiche. Neben einem Gatter im Zaun steht direkt am See eine Hütte, aber es ist niemand da. Jetzt biegt der Zaun Richtung Nordwesten ab und ich kann bis zur dritten Zaunabzweigung gehen, wo ich dann rechts abbiegen muss. Die Mittagspause fällt eher kurz aus, es ist mir mit 16° zu kühl, wenn ich mich nicht bewege. Kurz darauf beginnt es zu regnen, ganz feiner Niesel, der zwar feucht macht, aber mit der Regenjacke würde ich von innen her noch feuchter werden, als ohne. Ohne Regenjacke hält sich ein Gleichgewicht zwischen Verdunsten und neuerlichem Nasswerden.
Das Gekletter über die immer noch umfangreichen Geröllfelder, hinauf, hinunter, wird jetzt richtig gefährlich. Im feuchten Zustand sind die Steine und Flechten super rutschig und ich muss bei jedem Schritt doppelt aufpassen. Dazwischen liegen Sümpfe und kleine Tümpel, ein paar kleine Bäche sind zu durchwaten. Schon 50 m deutlicher Pfad sind ein echtes Vergnügen, eine Erholung zwischen den Steinen. Der abgezweigte Zaun folgt einer Kette von Tümpeln und Sümpfen, aber es gibt einen schöneren Pfad. Zuerst die unendlich vielen Steine und nun kommt der Sumpf … ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, liege ich schon bis über die Knie im Gatsch. In der Tiefe unter meinem rechten Knie liegt ein Stein im Sumpf, dessen Kante ich mit der Kniescheibe getroffen habe. Es ist schön als der Schmerz nachlässt und dann entsteht schnell eine Beule, aber das Gehen ist glücklicherweise kein Problem. Die Hose ist bis Mitte Oberschenkel nass und voll mit rotbraunem Moor. Solange ich mich bewege ist das kein Problem und die Feuerstelle, zu der ich gehen will, ist nicht mehr weit. Im Wald sehe ich eine erste Moorschneehuhn-Mami (riekko), die ihre Küken ruft und rasch im Unterholz verschwindet.
Zwei Flüsse sind zum Abschluss noch zu queren: den einen kann ich von Stein zu Stein und bis knietief im Wasser durchqueren, für den zweiten, viel tieferen, blase ich mein Packraft auf und komme bequem hinüber. Hier muss irgendwo die Feuerstelle sein und ich überlege das erste (und einzige) Mal mein in den Tiefen des Rucksacks verstautes GPS, in dem der Punkt gespeichert ist, auszupacken. Die Faulheit siegt und ich folge meiner Intuition, dem Flussufer und einer langen Portage für Boote und dann sehe ich auch schon den Pfad vom Wasser zur Feuerstelle. Es gibt in einer niedrigen Hütte trockenes Holz, aber keine Axt. Dennoch schaffe ich es mit ein paar geschnitzten Feuerstartern und den grossen Stämmen ein anständiges Feuerchen hinzukriegen. Wunderbar wie schnell einem warm wird, wenn man nur ins Feuer sehen kann. Zum Essen gibt es Stockbrot mit Speck und Tee, anschliessend wasche ich meine Hose und hänge sie zum Trocknen oder vielmehr Räuchern über das Feuer. Das Trailstar ist schnell aufgebaut und meine Sachen drunter gut verstaut, ich bleibe aber trotz Nieselregen am Feuer sitzen und geniesse eine Lesepause. Gegen 22:00 gehe ich schlafen und kann wie gewohnt lange nicht einschlafen. Die geräucherte Hose liegt neben mir und beschert mir am frühen Morgen einen Alptraum mit dem üblichen „Nicht-Können“, aber meine Katzen überleben glücklicherweise das Feuer!
19.7.
Während der Nacht hat es immer wieder geregnet, aber als ich aufstehe ist es sonnig und hat die angekündigten 20°! Ich wasche mich, den Rest meiner Kleidung und mache mir ein Frühstück. Heute komme ich in Sevettijärvi – meiner Halbzeit – an. Auf dem kleinen Fluss vor meiner Feuerstelle schwimmt eine Mittelsäger-Mami mit ihren Küken vorbei, dreht aber schnell ab, als sie mich sieht. Kurz darauf bin auch ich startklar – auf der Karte sieht der Fluss mit seinen Mäandern gut aus und ich habe vor, bis Sevettijärvi zu paddeln.
Leider ist es schon nach wenigen Metern zu seicht, mit vielen Steinen und ich trage mein Boot ein Stück unterm Arm, am Ufer gibt es auch wieder eine Venetie, um richtige Boote zu portagieren. Die nächste Paddelstrecke geht wiederum nur bis zur nächsten Windung, ich muss zwischen den Steinen mit tiefen Tümpeln dazwischen neuerlich aussteigen. Nachdem ich das Packraft zum dritten Mal aufgeblasen und wieder zusammengepackt habe, immer in der Hoffnung, jetzt würde es endlich eine durchgehende Paddelstrecke geben, gebe ich auf und gehe gemeinsam mit den Moskitos den direkten Weg durch den Wald. Auf einer Sandstrasse komme ich zur Abzweigung des Saamen Polku. Es ist erst 14:00, sonnig, und ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt schon jemanden treffen möchte.
Also beschliesse ich kurzerhand dem Saamen Polku in die andere Richtung zu folgen, weg von Sevettijärvi, hinauf ins Fjäll. Futter habe ich noch genug und Zeit auch, das Wetter ist super. Mein Ziel ist das Laavu am Vainospää, wo ich eventuell übernachten will. Der gut markierte Weg fühlt sich nach all den Steinen in der Vätsäri Wilderness wie ein Spaziergang im Park an – ich kann wieder gehen, in die Landschaft schauen und muss nicht jeden Schritt mit all seinen Konsequenzen abwägen. Die Aussicht vom Fjäll auf Sevettijärvi und die anderen Seen ist grossartig. Nach zwei Stunden am Laavu agekommen mache ich mir nur ein kleines Feuerchen für eine Pause, Spaghetti kochen und Tee trinken. Der Wind bläst direkt von vorne ins Laavu und … vielleicht ist die Zivilisation doch nicht so übel?
Gegen 19:00 treffe ich in Sevetti ein – vorher habe ich mich noch schnell im See gewaschen. In der Baari, dem Treffpunkt von Sevetti, gönne ich mir erst einmal ein kühles Lapin Kulta und frage nach dem Weg zur Hütte von Maurice und Severine. Bei ihnen hat Piia vor ein paar Wochen meinen Karton mit der Futterration für die nächsten beiden Wochen deponiert und ich freue mich schon sie kennenzulernen. Severine ist gerade noch da, bevor sie sich für ein paar Tage zum Zeichnen und Malen in ihr Haus an einem See zurückzieht. Wir trinken Tee, ich nehme mir für zwei Tage eine Hütte am Peuralammen Campingplatz. Und dann gibt es … Sauna! Das Vergnügen ist unbeschreiblich und mit einer heissen Dusche nicht zu vergleichen.
Hey Sabi was für eine geile Tour!!!
Tolle Bilder und super Wetter!
Hoffentlich kommen noch mehr Fotos…
Dem kann ich mich nur anschliessen. Bin begeistert von deinem Stil! Wie ich schon immer sagte: PackRAFTING ist nicht wörtlich zu nehmen!
Faszinierender Bericht mit tollen Fotos. Von diesem Land sieht man sonst nirgends Tourenberichte.
Danke
Tolle Tour, schöne Bilder!
Danke für die Fotos und die Berichte! Das is meine ex-Heimat… 🙂