Über Stock und Stein, Sumpf und See IV – Finnlands Norden

Magic nights

 

Nebel über den Sümpfen – Aussicht vom Otsamo

27.7.

In der Früh ist es wieder strahlend schön, völlig windstill (und natürlich keine Paddelstrecke für heute), sonnig mit ein paar Wolken und es hat schon erfreuliche 26° als ich losmarschiere. Bis zum Tsuomasjärvi sind es wieder nur 11 km und die verlaufen auf einem schönen Weg bergauf über die weiten Flächen des Fjälls. 

Tsaarajärvi Autiotupa

Nur ein kleines Geröllfeld

Blick übers Fjäll

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In einem Sumpf finde ich zwei Handvoll Lakka, die ich gleich esse. Die Aussichten über die weite Landschaft und die Seen sind einfach grossartig und ich mache immer wieder Pausen, um diese Landschaft auf mich wirken zu lassen. An einem einsam mitten im Fjäll stehenden Wegweiser mache ich eine Pause und beobachte wie sich die Wolken zügig zu Gewittertürmen aufbauen und über die flache Landschaft näher kommen.

Wegweiser: Hier links abbiegen

Gewitterwolken über Tsuomasvaara

Tsuomasjärvi Autiotupa – schon lange zu sehen. Im Vordergrund und rechts am Hang toter Birkenwald

Schon 4 km bevor ich bei der Hütte ankomme, kann ich sie vom Hügel aus zum ersten Mal sehen und mit dem rasch näherkommenden Gewitterdonnern im Hintergrund bin ich dann auch ziemlich schnell dort. P. kommt nach mir gerade noch an, kurz bevor das Gewitter mit einem Hagelsturm losbricht. Unter dem sicheren Dach der Hütte ist dieses Unwetter ein Vergnügen, die Hagelkörner sind so gross, dass sie einen Lemming ohne weiteres erschlagen könnten.

Gewitterstimmung über toten Birken

In Minuten ist die Sicht weg

Hagelschauer

Das Eis vom Himmel

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Anschliessend kommt wieder die Sonne hervor und natürlich gibt es einen ganzen Regenbogen. Um 18:00 beschliesse ich, auf den Hügel – Tsuomasvarri, 521 m – gleich hinter der Hütte hinauf zu gehen, P. kommt mit. Rund 200 Höhenmeter geht es bergauf, zuerst durch den vom Birken-Moorwald-Herbstspanner völlig zerstörten kahlen Birkenwald und dann über der Baumgrenze durch das im Regenwasser stehende knöchelhohe Zwergbirken- und Heidelbeergebüsch. Die Rentiere halten sich aufgrund der sommerlichen Temperaturen hier heroben auf und natürlich gibt es auch jede Menge quietschende Lemminge. Die Aussicht ist sagenhaft schön, bis zu schneebedeckten Gipfeln im Westen sieht man, die liegen vermutlich schon in Norwegen.

Am Gipfel des Tsuomasvarri

Am „Gipfel“, eigentlich ist es mehr ein flaches Plateau, auf dem man eine Viertelstunde gehen muss, um auf der anderen Seite runterzuschauen, gibt es einen umgestürzten (Feuer-?)Wachturm und ein Steinmännchen. Und Mobilfunkempfang! Nicht, dass mir der grundsätzlich auf einer Tour wichtig wäre – ich habe auch zum ersten Mal auf einer Tour ein leichtes Simvalley Handy dabei – aber so kann ich Piia über meine Pläne informieren und weitere Helikopterbesuche von mir abwenden. Von hier aus kann ich auch sehen, wie es dort aussieht, wo ich morgen noch hingehen möchte.

Tsuomasjärvi mit Hütte

Nach jeder Menge Bilder von Aussicht und Rentieren steigen P. und ich wieder durch die immer noch tropfnassen Birken zur Hütte ab.

Mein Foto-Rentier, das ich immer passend aufstellen kann

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28.7.

Ich beschliesse noch einen weiteren Tag hier zu bleiben, das Wetter ist heute, so weit im Norden, nahe am Eismeer, eher feucht-trüb, 12°, ich habe kein Eile und würde gerne allein sein.
In der Früh raschelt es im Ofenrohr und dann im Ofen, P. steht auf und öffnet das Ofentürl und da sitzt ein kleiner aschgrauer Vogel und blinzelt ins Licht. Ich kann noch ein paar Bilder machen, bevor er in meine Richtung ans Fenster fliegt, von wo ich ihn einfange, noch ein Porträt machen möchte, um ihn dann freizulassen. Der Winzling entwischt mir aber und fliegt an die gegenüberliegende Scheibe, wo er sich das Genick bricht und tot auf den Tisch fällt – manchmal kann man am Schicksal anderer nichts ändern. Wenigstens ist er nicht in unserer Abwesenheit langsam im Ofen verhungert…

Last picture

P. startet seine letzte Etappe bis Nuorgam um 16:00, weil sein Bus erst spät am Abend von dort weg fährt. Ich wasche mich und meine Sachen am See, dann heize ich die Hütte auf Saunatemperaturen auf. Im Outdoor-TV vor dem Fenster treffen sich Wühlmaus, Lemming und Vögel zu einer Grosskundgebung! Vor dieser Hütte gibt es die intensivste Aktivität von diesen Kleinnagern, egal in welche Richtung man blickt, überall laufen Lemminge und quietschen, wenn sie anderen Lemmingen oder einer Wühlmaus begegnen, um dann wie gleich gepolte Magneten in entgegen gesetzte Richtungen davon zulaufen. Ansonsten vergeht die Zeit mit Füsse pflegen, Lesen, Essen und Tee trinken wie im Flug, auch wenn ich den in der Hütte aufliegenden „Wachturm“ in finnisch nicht lesen kann.

Auch hier! Unterhaltungsprogramm in der Hütte

29.7.

In den ganz frühen Morgenstunden hängt der Nebel bis ins Tal herunter, der Hügel von gestern ist im Weiss verschwunden und ich schlafe gleich noch eine Runde. Dann wache ich auf, weil zuerst ein Vogel von aussen gegen die Scheibe fliegt und im Vorraum der Hütte Mäuse quietschen. Als das Quietschen kein Ende nimmt und immer vom selben Ort kommt, beschliesse ich aufzustehen und nachzusehen. Eine Graurötelmaus sitzt am Holzboden und versucht ihr halbwüchsiges Mäusekind (ca. 16-18 Tage) am Nacken zu fassen und wo auch immer hin zu transportieren. Das Mäusekind quietscht Zeter und Mordio und will sich unter gar keinen Umständen transportieren lassen. Ganz besonders lustig finde ich, dass die Maus sogar mehrmals zu mir kommt, und mich mit einem ratlosen Blick ansieht, bevor sie wieder zu ihren Kind läuft. Das geht so an die zwei Stunden, ein kleines Stück hin, wieder zurück, und endet damit, dass ich das Mäusekind draussen vor der Hütte fotografiere, in der Gegenrichtung wo es seine Mutter haben wollte.

Mäusekind widersetzt sich (Myodes rufocanus

Ich geh meine eigenen Wege …

… in die grosse weite Welt

Das Wetter ist am Vormittag immer noch etwas trüb, aber das Wolkengrau hängt jetzt deutlich höher, es ist windstill und hat 13°. Zum Frühstück gibt es aus meinen Resten eine neue Kreation: Porridge mit Vanillepudding, sieht nicht so toll aus, schmeckt aber exzellent.

Frühstücksvariationen: Porridge mit Mustikka keitto oder Vanillepudding

Vor dem Start um 11:30 reinige ich noch die Hütte und putze sogar ein Fenster mit dem vorhandenen Brennspiritus.

Ich habe mich zwar an mehr oder weniger nasse Socken und Schuhe gewöhnt, aber heute früh ist es ein Genuss die trockenen Socken und Schuhe anzuziehen! Das bleibt sogar für ungefähr 150 m so, dann kommt der erste Sumpf. Nach dem vielen Regen ist alles richtig nass und matschig; hier steige ich auch zum ersten Mal unachtsam in ein Sumpfloch, in dem ich bis zum Knie versinke und stecken bleibe. Den Fuss könnte ich ganz leicht wieder zurückziehen, nur bleibt dann der Schuh mit dem Socken im Sumpfloch. Stetig und langsam beseitige ich also das Vakuum und komme schliesslich aus dem Loch wieder heraus. Das wars dann für heute mit den trockenen Füssen.

Das Ende der trockenen Füsse für heute

Nach rund einer halben Stunde verlasse ich dann den markierten Trail und folge dem Kompass in Richtung Skihpahjoka, dem ich bis zum Luossajoka und diesem zum Pulmankijoki folgen und, je nachdem, vielleicht auch paddeln will. Mit direkter Sicht auf meinen anvisierten Punkt geht es bergab – in dieser übersichtlichen Landschaft kann ich das, was ich sehe sogar auf der Karte finden! Ein paar Seen, die durch schmalere fliessende Abschnitte verbunden sind, sind meine Einstiegsstelle. Das Wasser liegt spiegelglatt vor mir und ist herrlich klar. Einige kurze Abschnitte muss ich wegen zuviel Steinen umtragen, bin auch einmal oberschenkeltief im erstaunlich nicht so kalten Wasser. Nach dem dritten oder vierten See ist ganz Schluss mit paddeln, der kleine Fluss ist zu seicht.

Da will ich hin!

Packraft aufblasen

Bereit

Neue Perspektiven vom Boot aus

Ich peile mich auf seinen Zusammenfluss mit dem Luossajoka ein und wandere auf Rentierpfaden durchs Fjäll. Auch ein Bär ist hier schon gewandert, wie ich an den Hinterlassenschaften sehen kann. Leider sehe ich ihn nicht.
Hier wachsen jede Menge Lakka und ich suche mir nur mehr die allerschönsten und reifsten heraus, die anderen überlasse Bären und Füchsen oder wer immer sie essen mag.

Hier war vor mir schon jemand unterwegs … ein Bär

Da nehm ichs einfach unterm Arm

Rund um die Mündung der beiden Flüsse ist es sumpfig, viele niedrige Birken und dichtes Gebüsch. Ich wollte hier an einem schönen Flussufer meine Mittagspause machen, aber der Platz ist nicht verlockend und die Moskitos überzeugen mich, dass ich besser weitergehe und die Mittagspause aufschiebe. Allerdings stehe ich jetzt im Zwickel der beiden Flüsse und muss einen überqueren. Nach dem Blick auf die Karte beschliesse ich weiterhin am linken, etwas weniger steilen Ufer zu bleiben und den tiefen, schnell fliessenden Skihpajohka an einer ruhigen Stelle mit dem Packraft zu überqueren. Ohne Packraft hätte ich hier gar keine Chance weiterzukommen.

Flussquerung über den Skihpajohka – ohne Packraft für mich nicht möglich

Im Birkenwald geht es auf Elch- und Rentierpfaden bergauf und dann folge ich dem reissenden Luossajoka auf der Terrasse hoch über den Wasserfällen und Stromschnellen. An Paddeln ist hier überhaupt nicht zu denken!

Tiefblick auf den Luossajohka

Unterwegs trete ich beinahe auf einen winzigkleinen Lemming, der aber noch rechtzeitig quetischt. Es ist der erste, den ich nicht nur streichle, sondern auch festhalte und genauer betrachte.

Babylemming

Rauschbeeren

Pulmankijoki – das ist ein Fluss zum Paddeln

Nach einer weiteren Stunde bin ich um 16:30 am Pulmankijoki. Auch den überquere ich mit dem Packraft und mache auf der gegenüberliegenden Schotterbank endlich meine Mittagspause. Das feuchte Birkenholz brennt ohne Schnitzarbeit nicht wirklich gut und nach einigen Anläufen mit viel Rauch und wenig Flammen heize ich schliesslich den BushBuddy ein und habe bald meinen heissen Tee zum Beefjerky.

Bescheidenes Feuer mit nassem Birkenholz

Nach dem Essen kommt die nächste Paddeletappe: Den Pulmankijoki hinunter bis zu seiner Mündung in den Pulmankijärvi. Der Pulmankijoki ist hier ganz eindeutig mein Fluss – ruhig fliesst er dahin, kein lautes Rauschen, kein Weiss auf dem Wasser! Herrliche drei Stunden paddle ich eine Mäanderschleife nach der anderen, kann manchmal sogar über die Sandbank zurück in die vorhergehende Schlinge sehen. Auf einer Seite gibt es ausgedehnte flache Sandbänke, deren Material sich der Fluss von den gegenüberliegenden hohen Sandböschungen holt. Es sieht beinahe so ein wie in Canada – nur im Miniaturformat.

Sandwände am Pulmankijoki

Mini-Stromschnelle, die einzige die ich fahre

Eine winzigkleine Stromschnelle, die eigentlich gar nicht diesen Namen verdient, fahre ich durch, eine weitere umtrage ich, mehr Aufregung gibt es an diesem Fluss nicht. Zahlreiche Rentiere – vor allem Mütter mit Kälbern – liegen auf den Sandbänken und bestaunen mich, bevor sie gehen oder mir manchmal nachfolgen, um herauszufinden, was ich denn für ein seltsames treibendes Ding sei.

Pulmankijärvi

Pause auf der Sandbank

Nach einer letzten Fluss-Schlinge liegt dann der Pulmankijärvi vor mir – spiegelglatt und einem freien Blick bis ans andere Ende in Norwegen. Dieses Paddelerlebnis kann ich mir nicht entgehen lassen und nach einer kleinen Pause auf einer Sandbank der Flussmündung, eigentlich mitten im See, geht es nahe am Ufer weiter Richtung Norden. Wer weiss wie lange mir dieses Geschenk gegönnt ist  …

Paddel-Meditation

Bis nach 21:00 paddle ich Kilometer um Kilometer meditativ dahin – es ist atemberaubend still, nur das Plätschern meines Paddels ist zu hören! An einer Sandbank lege ich schliesslich müde an und baue mein Tarp auf. Es gibt das letzte Risotto zum Abendessen und einen herrlichen Sonnenuntergang, der eigentlich gar keiner ist. Bis zum 27.7. scheint in Nuorgam die Mitternachtssonne – am 29.7. verschwindet die Sonne nur kurz hinter den Wolken bevor sie wieder hervorkommt. Die der Sonne gegenüberliegenden Waldhänge am See leuchten in unglaublichen Farben.

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30.7.

Heute ist der letzte Tag meiner Tour von Ivalo nach Nuorgam – insgesamt waren es nicht so viele Kilometer, dafür voller Begegnungen und reich an Erlebnissen.

Das Wetter ist dem 70° nördlichen Breitengrad entsprechend feucht-kühl, 14°, viel Wind und grau in grau – das Barometer steht aber auf 1017 mm! Der Pulmankijärvi war früger ein Fjord des Eismeeres und ich bin nahezu auf Meereshöhe.
Der Zauber der letzten Nacht mit dem spiegelglatten See im gelben Sonnenlicht ist durch stetige Wellen mit Schaumkronen ersetzt. Im Wind ist es so kalt, dass ich unterm Tarp koche und esse. Ich bin glücklich, diesen See gestern so besonders erlebt zu haben und nehme schon hier dankbar Abschied von der Wildnis. Denn es geht ab jetzt  nur noch 20 km auf der Strasse nach Nuorgam.

Ich bin erst rund 4 km auf der Sandstrasse unterwegs, dann bleibt ein älterer Mann mit seinem Kleinbus stehen und bedeutet mir einzusteigen – es kann genaugenommen nur ein Ziel geben und für ihn ist klar, dass er mich die 20 km Strasse nach Nuorgam mitnimmt. Er spricht kein englisch, aber ich verstehe intuitiv seine Fragen nach woher und wohin. Meine beiden Antworten Itä-Valta (Österreich) und anschliessend Ivalo – Nellim – Sevettijärvi – Nuorgam veranlassen ihn erst zu einem Nicken und dann zur trockenen Bemerkung pitkä matka. Mir ist völlig klar, was er meint.

Arktischer Sommer: Thymian

Nuorgam ist ein enttäuschendes und ernüchterndes Ziel für eine Wanderung, ein paar Häuser, eine Bar, ein Supermarkt verstreut an der Durchzugsstrasse nach Norwegen. Ausser dem Wissen, dass es der nördlichste Punkt der EU ist, der nördlichste Punkt an dem ich je war und der Endpunkt meiner Wanderung.
Somit war ich innerhalb eines Jahres an der südlichsten Grenze in Zypern und nun an der nördlichsten Grenze der EU.

Der erste Bus nach Inari ist gerade vor 10 min gefahren teilt mir die Dame in der Bar mit, der nächste geht erst um Mitternacht, jetzt ist es Vormittag. Irgendwie hält mich nichts in diesem Dorf und ich versuche per Autostop weiterzukommen.

Mein Rucksack am Ende der Tour

Weil ich auf einen Wandertag eingestellt bin und völlig unerwartet so schnell das feucht-kühle Nuorgam erreicht habe, mache ich mich einmal auf den Weg entlang der Strasse. Jede Menge tote Lemminge liegen herum, rechts und links der Strasse wuseln sie noch durchs Gebüsch. Ich passiere Kilometer 1 des heute Nachmittag stattfindenden Teno-Marathons, der bis Utsjoki geht. Na da habe ich wenigstens Gesellschaft. Bis zum Kilometer 8 der Laufstrecke komme ich und dann mache ich im Kioski eine Pause für ein Lapin Kulta und gut salzige Pommes. Draussen wird es trüb und trüber, was die vielen Fliegenfischer nicht hindert, bis zu den Hüften im kalten Wasser des Tenojoki zustehen und immer wieder die Angel in die Stromschnellen zu werfen. Die Lachse haben aber nur eines im Kopf, wenn sie flussaufwärts ziehen und das ist nicht fressen …

Tenojoki

Es wird wieder etwas heller am Himmel und ich stelle mich zum Stoppen auf den Parkplatz vor den Kiosk. Alle Norweger fahren vorbei, aber nach 20 min lädt mich ein Finne in sein Auto und nimmt mich bis Inari mit. Auch noch weiter, wenn ich wollte, denn er fährt bis Kuusamo.

Innerhalb von knapp drei Stunden Autofahrt habe ich fast die ganze Strecke zu meinem Ausgangspunkt Ivalo zurückgelegt, von dem ich vor 4 Wochen losgepaddelt und dann gewandert bin. Diese Verhältnisse werden einem erst richtig bewusst, wenn man lange Strecken zu Fuss gegangen ist. Schnell oder ungeduldig Autofahren !–:–verliert seine Bedeutung.
Am Uruniemi Camping in Inari nehme ich mir für eine Nacht eine Hütte, meine Pläne für die nächsten Tage stehen noch nicht fest. Es gibt natürlich noch einen spätabendlichen Saunabesuch!
Ich schicke Marja, einer Tierarztkollegin mit der ich mich treffen will, ein SMS, dass ich in Inari angekommen bin. Ihr riesiges Arbeitsgebiet reicht von Utsjoki bis Ivalo, von Karigasniemi bis Raja Jooseppi und vielleicht kann sie mich auf einer ihrer Visiten einsammeln.

31.7.

Die Sonne scheint, aber es ist sehr windig – mir wird noch einmal bewusst, wie gross mein Geschenk mit all den windfreien Paddeltagen war.
Mein erster Weg führt mich am Vormittag in den Supermarkt zum Einkaufen – ein paar vernünftige und noch ein paar unvernünftige Sachen. Da ich noch keine Antwort von Marja habe, beschliesse ich bis zum nächsten Tag eine Wanderung am Jutuuajoki entlang und auf den Otsamo (419m), den höchsten Hügel im Umfeld, zu machen.

Blick zum Otsamo mit der kleinen Hütte am Gipfel

Stromschnellen am Jutuuajoki

Am rechten Ufer folge ich dem Fluss bis Haapakoski, paddle über einen ruhigen Abschnitt auf die andere Seite und dann geht es durch sonnigen lichten Hochwald auf den Berg. Erst kurz vor dem Gipfel endet der Wald und es gibt freie Sicht. Obwohl es sehr dunstig ist, ist der Ausblick von hier beeindruckend.

Durch den Hochwald auf den Otsamo

Ich setze mich in den Windschatten der Rasthütte und geniesse die Sonne. Da ich beim Aufstieg einen kleinen Tümpel mit klarem Wasser gefunden habe, kann ich über Nacht bleiben, auch wenn die ehemalige Feuerwachhütte nur für Tagesrast und nicht fürs Übernachten gedacht ist. Es gibt sogar einen Gasherd und für mich ausreichend breite Bänke.

Tümpel – besser als gar kein Wasser

Sonne – im Windschatten angenehm warm

Inarisee mit Inari links in der Bucht

Mit der tollen Rundumsicht ist die Verlockung gross, die ganze Nacht wach zu bleiben und der Sonne zuzusehen wie sie kurz unter- und dann gleich wieder aufgeht. Im Laufe des Abends wird die Sicht immer klarer, die Kontraste schärfer. Um 23:34 verschwindet die Sonne nach einem stundenlangen Farbenspiel ganz langsam im Norden hinter den Bergen. Die Farben bleiben am Himmel, verändern sich subtil von viel rot zu mehr Gelbtönen und gegen 2:30 ist die Sonne wieder zurück, noch hinter den Wolken versteckt, aber hell. Das eigenartige Licht der Mitternachtssonne und die ganze Stimmung, die dadurch entsteht hat etwas Magisches, Zauberhaftes – wie das Eintauchen in eine ganz andere Märchenwelt. Vor der Hütte laufen die Lemminge und Mäuse herum, ein Paar Sperbereulen wartet auf dem Hüttendach und den roten Markierstöcken sitzend auf die sorglosen unter ihnen. Von rechts hoppelt ein Schneehase ins Bild, verweilt kurz und verschwindet wieder. Die Goldregenpfeifer piepen monoton.

Schneehase (durchs Fenster fotografiert)

Sperbereule wartet auf unachtsame Lemminge (durchs Fenster fotografiert)

Nebel steigt aus den Sümpfen auf (durchs Fenster fotografiert)

Die Sonne geht schon wieder auf

Bei meinen kurzen Fotoausflügen draussen ist es richtig kalt und ich komme immer wieder gerne in die gemütlich warme Hütte zurück. Über den Sümpfen und dann auch über den Seen steigen Nebelschwaden auf, die bis in der Früh so dicht sind, dass sie die Landschaft unter mir mit einer dicken Schicht zudecken. Meine Augen sind richtig müde und ich kann mich trotzdem kaum losreissen von der unglaublichen Schönheit dieser Aussicht. Gegen 3:30 gehe ich dann doch schlafen, die Sonne steht bald schon wieder hoch am Himmel und der Zauber ist – für diese Nacht – vorbei.

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1.8.

In der Morgensonne geniesse ich mein Frühstück mit Blick auf den Inarisee und anschliessend steige ich wieder vom Otsamo ab, zurück nach Inari. Am ersten Laavu mache ich eine Pause und wasche mich ausgiebig im Fluss, weil es am Berg nur den kleinen Tümpel gab, aus dem ich gestern mein Trinkwasser für Abendessen und Frühstück geholt habe. Neben mir treibt auch der erste ertrunkene Lemming, den ich auf meiner Wanderung sehe. Alle anderen waren entweder auf der Strasse platt oder von Tieren angefressen oder ohne erkennbare Ursache tot am Trail.

Inarisee in der Morgensonne

Ameisen räumen die toten Lemminge mit System weg

Ich habe nach wie vor keine Nachricht von Marja und schicke ihr von Inari aus noch einmal SMS und Email. Dann starte ich meine nächste Kurztour und wandere zur Wildniskirche am Pielpajärvi, die ich auch schon vor beinahe 25 Jahren bei meinem ersten Aufenthalt in Inari besucht habe.

Pielpajärvi Wildniskirche

Von dort aus geht es weiter an den Pielpavuono des Inarisees. Hier gibt es eine Kota und ich bin allein, keiner der Wohnmobiltouristen geht weiter als bis zur Kirche und zurück zum Parkplatz.
Rund um die Kota gibt es keine flachen Stellen, die sich fürs Biwak eignen und so schlafe ich eben in der Kota auf der Bank.

Kota am Pielpavuono in der Abendsonne

2.8.

Es gibt ein langes Frühstück in der Sonne an der schönen Feuerstelle direkt am Ufer des Sees. Der Wind ist ganz zart und meine heutige Paddeltour am Inarisee kann beginnen. Ich folge einfach dem Ufer und paddle eine Bucht nach der anderen aus – mein Plan ist am Ufer entlang bis auf  Höhe des Sami-Heiligtums Ukkonkivi zu paddeln und dann weiterzusehen, ob ich eine Querung auf dem offenen Wasser bis zur Insel  eventuell schaffen könnte.

Ukkonkivi

Kota

Bald treiben in einer Bucht rund um mein Boot lauter ertrunkene Lemminge. Sie sind an der Oberseite noch ganz trocken und pelzig, nur der Kopf liegt zu tief im Wasser und die Pfoten hängen leblos, vermutlich sind sie in der vergangenen Nacht ertrunken. An sich sind Lemminge ziemlich gute und vor allem schnelle Schwimmer, aber einige überschätzen ihre Schwimmkünste und übernehmen sich mit dem Inarisee.

Ertrunkene Lemminge

Es wird zunehmend windiger, die Ufer sind entweder ungeeignet zum Campen oder verbaut. Nach 3 Stunden paddeln mache ich eine kurze Pause und beschliesse zu Fuss zur Kota zurückzuwandern. Unterwegs treffe ich den reichhaltigsten Hillasuo bisher und halte mich lange mich Lakka essen auf. Immer wieder finde ich es erstaunlich, dass ich nach diesen Querfeldeinwanderungen, Umwegen um Sümpfe und noch mehr Umwegen, wo ich unterwegs nicht die geringste Ahnung habe, wo ich bin, doch wieder punktgenau dort ankomme, wo ich hinwollte. Zum Abendessen gibt es eine wunderbar gelungene Portion Stockbrot aus meinem letzten Mehl.

Stockbrot

In der Nacht wache ich auf und sehe aus dem Fenster der Kota einen schwimmenden Lemming. Nichts wie raus und Bilder machen!
Und dann kommen immer mehr Lemminge über die weite Bucht angeschwommen. Auf dem inzwischen wieder spiegelglatt in der Nachtsonne daliegenden See kann man sie als kleine schwarze Punkte erkennen mit einer V-förmigen Welle.

Lemming – auf zu neuen Ufern

In der weiten Bucht schwimmen nachts Lemminge

Sie schwimmen rasch, mit einer guten Wasserlage und sehen ein bisschen wie Humvees (High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle) aus. Die Schwimmstrecke, die diese Zwerge zurücklegen ist hier rund 400-500 m und sie kommen aus dem Wasser, nur am Bauch nass, als wäre das nichts gewesen und laufen weiter. Wenn der Felsen nur eine Insel auf dem Weg zum Ufer war, gehen sie ohne das geringste Zögern auf der anderen Seite wieder schwimmen. Wenn sie am Ufer auf andere Lemminge treffen wird gequietscht und einige schwimmen wieder in der Gegenrichtung über den See. Am Ufer sitzt auch schon eine Sperbereule auf der Lauer, und wartet auf die Neuankömmlinge…
Wieder eine dieser unglaublichen Nächte, wo ich in der Früh aufwache und mich frage, ob ich das alles wirklich erlebt habe. Wenn ich nicht so viele Fotos hätte, ich hielte es für einen Traum.

Pielpavuono

3.8.

In der Früh ist es wieder recht windig, mit Wellengang schon in der Bucht und aus meiner Paddeltour zurück nach Inari wird nichts, dann gehe ich halt zu Fuss.
Von Marja habe ich immer noch keine Antwort, Anrufe kommen nicht durch oder ich bekomme die Info falsche Nummer.  Obwohl laut Vorhersage ein Kälteeinbruch kommen soll, plane ich als Alternative ein paar Tage im Lemmenjoki NP und kaufe mir einmal die Karte für weitere Planungen. Im Supermarkt ergänze ich meine Futtervorräte für ein paar Wandertage und checke diesmal am anderen, sehr viel netteren, Campingplatz von Inari ein. Mein kleines MLD Trailstar steht unter all den riesigen Wohnmobilen.

Entspannungsnachmittag

Ich verbringe einen netten Nachmittag mit Lesen in meinem bequemen Packraft-Sitzmöbel, Tee trinken, heisser Dusche und Wäsche waschen. Es gibt wieder einen sagenhaft schönen Sonnenuntergang.

Sonnenuntergang am Inarisee

In den frühen Morgenstunden wache ich wie so oft auf, weil die Lemminge unterm Tarp durchlaufen und rundherum wird gequietscht. Die Sonne ist schon wieder am Aufgehen und ich stehe kurz auf.  Über den kleinen Zufluss in den See, an dem mein Tarp steht, schwimmen schon wieder jede Menge Lemminge. Die haben auf der kurzen Strecke wenigstens kein Risiko zu ertrinken.

… und schon wieder schwimmen sie

4.8.

Heute früh erreiche ich endlich Marja und sie will mich auf dem Rückweg von ihrer Praxis in Ivalo abholen. Damit habe ich einen ganzen Tag, den ich im SIIDA-Museum verbringen kann. Das Wetter ist auch genau richtig dafür, 12° kühl und windig – es wird Herbst. Nach einer weiteren heissen Genussdusche checke ich aus und gehe ins Museum, wo ich meinen Rucksack für die nächsten Stunden deponieren kann. Fünf Stunden sind gerade ausreichend für diese schön gestaltete und umfangreiche Ausstellung über Lappland, seine Geschichte, Kultur und Bewohner. Am späteren Nachmittag holt mich Marja dann tatsächlich am SIIDA Parkplatz ab und wir fahren zu ihr nach Hause auf den Hof in Kaamasmukka.

Nach zu Fuss und Boot nun die Perspektive vom Pferd: Ausritt in der Tundra

Ich hätte ihn fast nicht ganz aufs Bild bekommen

Die folgenden Tage bis zu meinem Abflug nach Ivalo verbringe ich inmitten einer Samifamilie, mit Ausreiten in der Tundra, Sauna und mache Working Holidays in einer Tierarztpraxis unter ganz aussergewöhnlichen Bedingungen – aber das ist eine andere Geschichte.

Mein Abschiedskomitee am Flughafen Ivalo

 

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14 Kommentare

  1. Wonderful! Great photos – looks like you had a fantastic trip.

  2. Bis zum Ende ein sehr stimmungsvoller Bericht. Sowohl widerspenstige Mäusekinder als auch kampfschwimmende Lemminge finde ich zum Quietschen.

  3. Once again, great pictures! Hienoja kuvia 🙂

  4. Wonderful trip you had and beautiful pictures as usual! I didn’t know lemmings could swimm such long distances. Must have been a magic moment for sure.

  5. Sabine, das is ja auch ein richtiger Schreibmarathon 🙂 Mindestens genauso eine Leistung wie die Tor selber. Oder hattest du den Laptop mit dabei 😉 Eine Karte über den Streckenverlauf wäre noch schön gewesen. Mit Mücken sah es gar nicht so arg aus…..

  6. Interesting to see how you travelled to Nuorgam.
    I’ve only seen the last part of Pulmankiriver.
    Good and funny pictures of rodents and it seems you visited the same muddy place as I did not far from the hut 🙂

    I hope your big trip next year will go well, ciao! 🙂

  7. Ja, an die Mücken hatte ich auch gedacht … Teilweise herrliche Ausblicke über die Seen. Sind die Schuhe wasserdicht? Schnelltrocknend?

  8. Daheim und endlich Zeit deine Berichte und Fotos in aller Ruhe durchzulesen und anzusehen! War unterwegs nicht so ganz einfach alles am iphone zu laden, habs immerwieder versucht.
    Wunderbar! Ich denke das es nächstes jahr auch Finland wird (Nordkalottleden) 🙂

  9. Sabine, vielen Dank fur die tour…konnte eben keine PAUSSI machen während des Lesens! Kaum zu glaumen, dass ich da 6 Jahre wohnte, aber nur vielleicht eine Hälfte von diesen Blicken gesehen hatte! Was zu dem Pupu kommt…ich glaube, das war doch ein Rentier un kein Bär…Wenn die viel Winterfutter (fertig Rentierfutter) essen, reagiert der magen so dass das Pupu grösser wird un die kleinen „Rosinen“ sich zusammenpacken… Bärenpupu ist etwas wie…hmm…Mencshpupu aber grösser und mit vielen Waldbeeren…Ich habe das ein paar Mal gesehen. :/ Toll dass du da auch geritten hast! Ich habe das auch da beim Marja probiert und gute Erlebnisse gehabt. Alles gute fur Dich und neue Wanderungen!

  10. Ulpu, danke für das nette Feedback – ja das ist schon sehr eindrucksvoll da oben im Norden! Nächstes Mal werde ich es wohl im Winter kennenlernen müssen 😉

  11. Matthias,
    irgendwie muss man ja diese Sehnsucht stillen, wenn man grad von wo zurück ist – deine Berichte sind ja auch ganz speziell was das Sehnsucht wecken anlangt 😉
    Nordkalottleden steht auch auf meiner Liste, aber derzeit noch hinter der HRP.

  12. Henrik,
    meine Schuhe sind nicht wasserdicht – im Gegenteil! Wasser kommt auf der einen Seite rein und auf der anderen gleich wieder raus. Schnell trocken sind sie, das hält aber nicht lange an in einem Land das Suomi heisst!

  13. Margarete Schroll

    Hallo Sabine!
    Großartig Deine Reisen und grandios Deine Berichte! Bewundernswert Dein Durchhaltevermögen, Dein Mut und Deine Kraft, diese Touren im Alleingang zu meistern – Respekt!!! Die Bilder traumhaft schön. Mit welcher Kamera wird fotografiert? Würde mich interessieren. Man sieht, hier ist ein Profi am Werk – in jeder Hinsicht …!
    Wünsche noch viele schöne Touren, natürlich bei bester Gesundheit, was wohl das Wichtigste dabei ist. Good Luck! Liebe Grüße aus Grünbach – Margret!

  14. Die meisten Bilder sind aus meiner Fuji Finepix F31 – und ich bin weit vom Profi entfernt, eher Möchtegern-Mittelmass 😉
    Das mit dem Durchhaltevermögen werde ich dann im kommenden Jahr richtig testen können …

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