Auf dem Weg zum Grossen Weissen … und zurück (II)

Tundramosaik

27.7.

In der Früh regnet es nicht mehr, aber es ist trüb und bedeckt; ich habe einen kurzen Tag geplant, also um 0800 noch einmal umgedreht und weitergeschlafen. Erst um 1220 werde ich wieder wach – jetzt ist es schon sonniger und hat 17°. Ja, da kann ich aus meinem kuscheligen Schlafsack herauskommen.

Nach einer gründlichen Wäsche – es gibt an diesem Biwakplatz erstmals Fliesswasser – mache ich einen gemütlichen Brunch mit Apple & Almond Crisp und viel Tee. Der Schlafsack wird gründlich gelüftet, es ist alles trocken, auch die Socken. Mein linker Grosszehenballen sieht etwas beleidigt aus und ich habe inzwischen zahlreiche Moskitostiche rund um die Knöchel (durch die Socken gestochen!) und an ein paar an den Waden, die immer Freiluft haben.

Blick zurück auf meinen Lagerplatz

Ein Biwak hinterlässt keine Spuren

Heute ziehe ich nur ein kleines Stück in Richtung Rodebay/Oqaatsut weiter hinunter an den Fjord. Schon nach zwei Stunden ist um 1700 Schluss und ich finde einen tollen Platz mit zahlreichen Eisbergen direkt vor mir. Nach einer Stunde Sonnesitzen und Eisberge beobachten (ja, die kann man beobachten) baue ich mein Tarp an einer schon benutzten Campsite auf. Die liegt allerdings auf einem Felsen und ich kann nur die Steine anstelle der Heringe benützen. Gutes Wasser gibt es in unmittelbarer Nähe zwar keines – aber es liegen genug Eisstücke am Ufer herum – und so koche ich mein Abendessen aus kleinen aufgetauten Eisblöcken. Und selbst das ist ein gutes Unterhaltungsprogramm, den kleinen jahrtausendealten Luftblasen zuzusehen, wie sie aus dem tauenden Eis hochsprudeln! Die Pasta mit Tomaten-Oliven-Kapernsauce schmeckt damit auch hervorragend.

Eisberge als Trinkwasser

Blick über die Bredebugt - meine Paddelstrecke für morgen

Eis-Skulpturen

... und noch mehr davon

Bis spät sehe und höre ich das Plätschern der tauenden Eisberge, wie sie krachen, monumentale Stücke verlieren und umkippen – grandios!

28.7.

In der Früh ist noch Ebbe und nachdem ich mit den Beobachtungen von gestern abend ungefähr ausgerechnet habe, wann es wieder umdreht, gibt es ein gemütliches Frühstück. Denn heute steht wieder Paddeln auf dem Plan – im Meer zwischen den Eisbergen! Nach dem Frühstück sitze ich noch bei lauschigen 11° herum und warte, dass ganz sicher Flut ist. Das Meer im Kangerluarsuk, einer grossen Bucht, ist spiegelglatt und so starte ich meine erste Packraft-Tour im Meer. Mit grossem Respektsabstand paddle ich um die Eisberge – habe ich sie doch gestern eingehend beobachtet, um ihre Unberechenbarkeit zu erleben. Es ist aufregend und schön zugleich – schön langsam entspanne ich mich und paddle gemütlich und nahe am Ufer entlang. Eine völlig neue Perspektive!

Begegnung mit Eisbergen vom Boot aus

All zu nahe traue ich mich nicht heran

Nach rund zwei Stunden im Boot kommt zunehmend Gegenwind auf (zwar aus einer ungefährlichen Richtung, aber dennoch mühsam) und ich lege in einer Bucht an, trockne und verpacke meine Sachen. Es geht wieder zu Fuss weiter. Bald habe ich den gut orange markierten und ausgetretenen Trail nach Rodebay gefunden. Der Weg ist schön und einfach zu gehen, aber er zieht sich bis ich endlich die kleinen bunten Häuserpunkte wie Legosteine auf den Felsen erkennen kann.

Wanderweg auf wunderbarem Felsuntergrund

Die Erde im raw.Format

Daunenfeder auf Krähenbeere

Ein kurzer Sommer

Am frühen Nachmittag bin ich da – ich finde es bizarr und das Bild in meiner Vorstellung von Rodebay bei durchgehend grauem Wetter im Winter erklärt mir so ziemlich alles von Alkoholismus bis Suizid … Nach einer kurzen Sight Seeing Tour in dem sich sehr verlassen anfühlenden Ort und einer kurzen Pause steige ich auf den Hügel mit einem kleinen Teich, wo es Mittagessen gibt. Erst ein paar Tage später erfahre ich, dass Rodebay ja ein Restaurant hat!

Rodebay

Trockenfisch für den Winter

Den Rückweg würde ich gerne auf dem alternativen Weg auf der anderen Seite der Halbinsel gehen. Es geht steil über dem Meer auf kaum sichtbaren schmalen Pfaden und über Felsflächen. Am Ufer des Fjords finde ich die Überreste von zwei kleinen Seehunden – nur das Fleisch ist weg, die Felle liegen leer herum.

Seenebel hängt über den Eisbergen

War es vormittags mit dem Nordwind und dem Seenebel eisig kalt so ist es hier windstill und heiss und es gibt Mücken aller Art, die sich gemeinsam um meinen Komfort in Grönland bemühen. Der Weg geht vor allem durch den Sumpf und alle Moskitos, die noch nicht wussten, dass ich da bin, wecke ich beim Durchmarschieren auf. Nach einer Stunde im Sumpf beschliesse ich wieder höher in die Berge aufzusteigen, um in etwas mehr Wind meine geflügelte Eskorte loszuwerden. Nach einiger Zeit habe ich sie dann so auf rund 220m alle abgehängt – einige Kriebelmücken haben mir blutende Löcher gebissen. Beim Abstieg entdecke in einem sandigen Bereich einen Fuchsbau, aber er ist offensichtlich verlassen. Schade, sonst hätte ich glatt mein Biwak in der Nähe eingerichtet.

Gegen 1800 komme ich wieder zurück an die Bucht, wo ich die vergangene Nacht biwakiert habe und richte mein Camp am Ende des Kangerluarsuk ein. Die abendlichen Aufgaben sind immer die gleichen: nach dem Tarp aufbauen kommt Wasser holen und Holz suchen, kochen.

Appartement mit Aussicht

Die Eisberge liegen nur wenige Meter vor mir im Wasser, es ist inzwischen strahlend blau und sonnig. Aber die Abend- und Nachtsonne macht zwar hell, doch nicht wirklich warm. Zum Abendessen gibt es wieder Gemüserisotto mit Parmesan und Olivenöl.

Meine Küche

Mein linker Grosszehenballen gibt sich bei der abendlichen Fusspflege immer noch beleidigt und entwickelt an der Druckstelle einen Bluterguss. Also muss sich die grüne Superfeet-Einlage einem chirurgischen Eingriff unterziehen, der verhindert, dass meine Zehe diesen braucht.

29.7.

Wieder einmal spät aufgestanden und gemütlich gefrühstückt. Es gibt heute sogar warmes Wasser zum Waschen – mit ein bisschen Übung reicht so ein Kochtopf voll, um sich ganz zu waschen. Dann komme ich beim Gehen so gar nicht voran, ich mache mehr Pausen als ich gehe. Immer noch kann ich mich an den Eisbergen und der Landschaft nicht sattsehen, obwohl sie dem Auge so wenig Abwechslung bietet – oder vielleicht deswegen?

Vom benachbarten See höre ich die ersten Eistaucher hier in Grönland und einer fliegt an mir vorbei. Wieder am markierten Trail, diesmal Richtung Ilulissat begegnen mir die ersten Wanderer und Tagesausflügler auf dem Weg nach Rodebay. Am Nachmittag bin ich schliesslich zurück am Flughafen von Ilulissat und schaue den Flugzeugen und Helikoptern beim Starten, Landen und Transportieren von Lasten zu.

Der letzte Rest eines Eisbergs

Wollgras bedeutet immer : Sumpf

Ich will aber noch nicht zurück in die Stadt und beginne meinen Anstieg in die Berge. Irgendwie bin ich etwas unentschlossen, es ist sehr windig, bedeckt und ganz überzeugt bin ich noch nicht von der Idee. Als mir dann auf halber Höhe ein richtig warmer heftiger Wind von oben entgegenkommt, kombiniere ich die schon seit zwei Tagen am Himmel stehenden UFO-Wolken und die Wärme des Windes und heraus kommt: Föhn!

Also steige ich wieder ab und suche mir hinter dem Flughafen an einem kleinen See einen Platz für die Nacht. Es gibt Blick auf die Eisberge, gutes Wasser am Zufluss des Sees, viele Mücken und einen schon benützten Zeltplatz mit ausreichend schweren Steinen, die ich für mein Tarp auch benützen kann. Es gibt ausreichend Holz und das Abendessen ist heute mehrgängig – es gibt Zürcher Sojageschnetzeltes und Pürree, dann Pudding als Dessert.

Blick auf die Diskobucht und die Diskoinsel

Am kleinen See beobachte ich noch ein paar Wasservögel – irgendwelche Limikolen, die ich nicht identifizieren kann. Aber sie sind so vertraut, dass ich ganz nahe herankomme, während sie ihren Kopf unter die Flügel stecken oder im seichten Wasser herumstochern.

Odinshühnchen (Danke an Dani!)

Gegen 2200 ist der warme Wind, den ich in den Bergen getroffen habe dann auch unten angekommen und fährt so in mein Tarptent, dass ich beschliesse umzusiedeln und mich in einer winzigen Andeutung von Windschatten hinter einem Felsen zu verstecken. Gut, dass ich mich da schon vor dem Schlafengehen umgesehen habe. Andererseits ist das auch wieder kein grosses Problem, weil es ja ohnehin die ganze Nacht taghell ist. Ich fühle mich bei dem starken Wind aber immer noch nicht richtig gut, denn mein Tarp muss noch vier Wochen durchhalten. Schliesslich lege ich das Tarp flach und mache ein Bivy draus, rund um mich herum liegen die Steine und den letzten Zipfel ziehe ich an mich heran, um die Angriffsfläche so klein wie möglich zu halten. In den frühen Morgenstunden ist die Windmaschine einmal für kurze Zeit aus, aber dann macht der Föhn unvermindert weiter. Es wird keine so ganz entspannte Nacht, vor allem ist das flatternde Silnylon ziemlich laut. Andererseits … ich habe es warm und trocken, was will ich noch mehr?

Tarp als Bivy im Föhnsturm

30.7.

In der Früh warte ich bis der Wind ein ganz klein wenig schwächer wird – zumindest bilde ich mir das ein und irgendwann startet auch ein Flugzeug vom Flughafen nebenan, fliegt direkt über mich hinweg.  Hinter einem zusätzlichen Windschutz aus Steinen baue ich meine kleine Küche auf, brauche aber trotzdem einiges an Holz und Ausdauer bis das Wasser heiss ist. Das Packen muss wohl überlegt sein, denn jedes Teil, das nicht mit Steinen beschwert ist fliegt davon! Ultraleicht hat nicht nur Vorteile …

Von den Felsen hinter meinem Lagerplatz kann ich schön auf das Meer schauen, aber ich muss mich mit den Stöcken und einem guten Stand absichern sonst fliege ich auch davon.

Dann gehe ich nach Ilulissat hinein und zum Laden von Elke Meissner Tours – vielleicht kann ich für meinen verbleibenden Tag morgen noch eine Tour zum Whale Watching buchen. Zur Zeit sind aber keine Wale da und sie bieten nur die Bootstour nach Rodebay an – da war ich doch erst. Aber ich erfahre, dass es dort doch das H8 gibt und – da muss ich noch einmal hin zum Fischessen! Rodebay kann man ja nicht oft genug sehen …

Keine schlechten Aussichten

Der "Hundefänger" von Rodebay: alle Welpen und Junghunde kleben an Menschen

Die kommende Nacht plane ich auf der Campsite, die Schlüssel muss ich mir am Youth Hostel abholen und weil es immer noch gut windig ist, verlege ich die Übernachtung nach indoor. Auch nicht schlecht: heisse Dusche, Wäsche waschen und ein bisschen was zum Lesen finden. Allerdings kostet dieses Vergnügen 415 DK (55 €)/Bett. Nach beinahe einer Woche draussen ist mir drinnen fast schon zu warm!

Im Supermarkt kaufe ich mir Chips als Mittagessen und mache mich wieder einmal auf in Richtung Eisfjord. Auf dem Rückweg schaue ich bei der Polizei vorbei, um ihnen von meinem Erlebnis am ersten Morgen zu berichten, aber ohne eine offizielle Anzeige zu erstatten. Es könnte ja sein, dass sich andere Frauen wirklich ängstigen, falls er das öfter macht. Nach meiner Schilderung und Beschreibung stellt sich heraus, dass es sich vermutlich um einen Burschen handelt, der a bit disturbed ist. Auch die Frage, die mich die vergangenen Tage beschäftigt hat ist schnell beantwortet: Es war überhaupt nicht wichtig, wer oder ob eine Frau in dem Zelt ist.

Teil 3

4 Kommentare

  1. danke für die tollen reiseberichte! auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, alleine durch grönland zu wandern, geniesse ich die beschreibungen und lerne so ein wenig von der fremden welt kennen. 🙂

  2. Wir haben diesen Reisebericht mit Freude und bewundernd gelesen. Traumhaft schön beschrieben und dazu diese tollen Bilder. Einmal ganz anders als man sich das Reisen vorstellt. Danke Danke

  3. Betreffs: „Regenpfeifer?“

    Es handelt sich höchstwahrscheinlich um Odinshühnchen (Phalaropus lobatus) im Jahrkleid. Ziehen Ende Juli bis September zur Überwinterung an den Persischen Golf.

  4. Danke Dani – ich habs schon geändert!

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